Nespresso findet, dass sein Kaffee nie besser war als heute. Aber wer interessierte sich je für dessen Güte? Denn „bei Nespresso,“ so bemerkte der Londoner Guardian, „ging es nie wirklich um Kaffee. Nespresso triumphierte, indem es sich als anspruchsvoller Bestandteil eines elitären, globalisierten Lebensstils verkaufte.“ Dabei bereicherte die bequeme Kapsel den Kaffeegenuss so wenig wie die mühelose Mikrowelle die gute Küche und stand die elegante Nespresso-Maschine mehr für Status als für Sinnesfreude. Das Unternehmen, das in 29 deutschen und weiteren 780 Boutiquen in 83 anderen Ländern sowie im Online-Handel 14 Mrd Kapseln jährlich verkauft, dachte in seiner Firmengeschichte scheinbar nie an gesteigertes Kaffeeerlebnis, sondern „erschuf eine Menge gutartigen Bullshit rund um Kaffee“, wie es der Creative Director des Werbe-Multi Ogilvy, Rory Sutherland, ausdrückte.
1976 meldete Nespresso-Konzernherr Nestlé das Patent für ein Single Serve Coffee System an. Um damit den Espresso der Baristas nachzuempfinden, hatte sich Nestlé-Ingenieur Eric Favre in Roms beliebtesten Kaffeebars schlau gemacht. Da die ersten Prototypen (von Turmix hergestellt) durch ihre Tanks, Pumpen und Schläuche plump aussahen und im Management gefürchtet wurde, sein Nescafé-Geschäft zu kannibalisieren, kam Nespresso erst 1986 auf den Markt – traditionellen Espressomaschinen ähnelnd, in 4 Kapseltypen verschiedene Kaffeestärken bietend und vornehmlich für Büros gedacht.
Da die aber kaum bestellten, holte Nestlé1988 den Marketingmann Jean-Paul Gaillard vom Tabakkonzern Philip Morris hinzu, der dort die Bekleidungsmarke Marlboro Classics erfunden und etabliert hatte. Er dachte über den Kaffeetassenrand hinaus an ein „Chanel des Kaffees“, das er mit der Methodik der großen Bordeaux-Châteux auf den „Level der Läden heben wollte, die einen Türsteher haben“. Er ließ die Maschinen in Lizenz von Firmen fertigen, die in besseren Haushalten renommiert waren, schönte die Kapseln, verteuerte sie um 50 % und wandte sich an Privatkunden, die per Kauf einer Maschine zu Mitgliedern eines vermeintlich elitären Clubs wurden. In der Werbung wurde Nespresso-Kaffee vornehmlich im durchsichtigen Glas mit heller Crema obenauf präsentiert. Die adelte den – anders als Wein oder Tee – als immer gleichfarben empfundenen Kaffee. Den reizvollen Effekt bewirkte der italienische Kaffeemaschinenhersteller Gaggia, als er einst seinen Landsleuten den beargwöhnten Schaum als crema naturale und Caffè Crema schmackhaft machte. Nach 2 Jahren hatten sich Techniker Favre und Verkäufer Gaillard heillos zerstritten. Favre ging, als auch Gaillard Nestlé verließ, verbreitete er, der Konzern habe die Nespresso-Idee nicht selbst gehabt, sondern 1973 vom US-Technologie-Forschungsinstitut Batelle gekauft.
Ab 2006 verkörperte George Clooney in der Nespresso-Werbung den Kunden, den das Kaffeehaus suggerierte: anspruchsvoll, weltläufig, betucht. Fortan wuchs das Kapselgeschäft fünfmal schneller als der gesamte Kaffeemarkt und bis 2010 verfünffachte sich der Nespresso-Umsatz (auf 3 Mrd Franken; 2013, als letztes Mal Zahlen publiziert wurden, waren es knapp 10 Mrd). Der Schauspieler bekam laut Vogue 40 Mio $. Am wenigsten Wirkung zeigte er in den USA, wo morgens der halbe Liter Starbucks-Kaffee im Pappbecher gefragter als ein Espresso ist.
Seinen ersten Einbruch erlitt das Unternehmen, das die Kapseln in den Westschweizer Orten Romont, Orbe und Avenches füllt und via Antwerpen in die Welt sendet, als es 2012 nach verlorenen Patentstreitereien sein Kapselmonopol für die eigenen Maschinen aufgeben musste. Mittlerweile gibt’s über 400 Konkurrenz-Kapseln für jeden Geschmack und Geldbeutel. Nespresso stellte sich aber auch selbst ein Bein: Es flankierte sein florierendes Online-Geschäft mit immer mehr Boutiquen in bester Lage – und „machte dadurch aus seinem Amazon ein stationäres Geschäft“ (wie Gaillard bemängelte).
Der zweite Einbruch begann, als seine Aluminium-Verwendung in Umwelt-Verruf geriet. Das leichte Material ist transportstabil und hält Hitze wie Druck in der Kaffeemaschine aus – doch bei der Gewinnung von 1 Tonne Aluminium fallen 10-12 Tonnen Abfall an, darunter 2-3 Tonnen giftiger alkalischer Rotschlamm. Die Kapseln sind zwar recyclebar, enthalten aber auch Kunststoff, so dass sie nicht in die Wertstofftonne geworfen, sondern in Nespresso-Boutiquen oder Convenience-Stores abgegeben werden sollen. Selbst wenn die (von Experten angezweifelte) Nespresso-Angabe stimmt, dass seine globale Recyclingquote bei 30% liegt und dass 91% der Kundschaft Zugang zu einer der weltweit 100.000 Sammelstellen hat, landen bei 14 Mrd verkauften Kapseln pro Jahr und 0,9 Gramm Aluminium pro Kapsel jährlich 12.600 Tonnen Nespresso-Aluminium auf Deponien, genug um New York mit 60 Freiheitsstatuen zu beglücken.
In seiner Werbung setzt Nespresso nun vehement auf Nachhaltigkeit (die im Kaffeegeschäft schon ohne Kapseln ein sehr komplexes Thema ist), auf gut behandelte Kaffeefarmer, Fairtrade, das ökologisch Richtige und auf ein klimaneutrales Kapselsystem ab 2022. George Clooney ist nicht mehr zu sehen – jetzt wirbt Kai Pflaume fürs Recyclen der Kapseln, wozu er an Gelbe Tonnen, in die Nespresso-Boutiquen und zu Wertstoffsammelstellen bittet.
Foto:@Nespresso.de