Glaubt man den Medien, liegt in Deutschland derzeit kaum etwas so im Trend wie der Verzicht auf tierische Produkte. An die Spitze dieser Bewegung setzte sich der Stern: „Vegane Ernährung ist längst Mainstream geworden.“ Hätte er recherchiert, wäre er vielleicht auf den Ernährungsreport 2019 der Bundesregierung gestoßen, wonach sich 1 % der Deutschen bei Tisch vegan verhält; andere Umfragen kommen auf 1,4 % – eine ganze Menge im Vergleich zu den 0,4 % Franzosen.

Wie sehr dieses 1 bis 1,4 % meint, den allgemeinen Speiseplan bestimmen zu müssen, dokumentierte die Schauspielerin Katja Riemann („Fack ju Göhte“), als sie nach dem diesjährigen Deutschen Filmball unter ihrem Instagram-Foto in weißer Galagarderobe monierte, dass kein veganes Dinner serviert worden war. Dem postete sogleich Illustriertenprominenz wie Zsá Zsá Inci Bürkle, Marlene Lufen, Emilia Schüle und Kai Schumann zu. Diese Damen-Dominanz war typisch. Auch in den anderen Medien sind die Wortführer durchweg Frauen. Weil ihnen die Ernährung bewusster ist oder weil ihnen wie beispielsweise in der Frankfurter Allgemeinen nichts anderes übrigbleibt? Dort schreiben die Herren Strobel y Serra und Dollase über Köche, Restaurants und klassisch Kulinarisches, die Damen dürfen sich ausgiebig mit Veggie-Themen verwirklichen und das auch hier gebetsmühlenartig damit rechtfertigen, dass „vegane Ernährung im Trend liegt“.  

Dort sieht sie auch der Münchner Wiesn-Stadtrat Clemens Baumgartner und verkündete laut Bild im Käfer-Bistro anlässlich der Präsentation eines Greenforce Vegan Burger aus Erbsen-Proteinen für 17,90 €, bei dem er „keinen großen Unterschied zu einem Rindfleisch-Burger entdeckte: „Wir unterstützen die ganze Sache von städtischer Seite“ und „wollen mehr vegane Ernährung auf dem Oktoberfest haben und vergeben dafür auch Punkte“ – immerhin ein Einblick in das für Bewerber um einen Platz auf der Wiesn undurchsichtige Prüfungsverfahren.

Die Begeisterung fürs Vegane scheint keine Grenzen zu kennen. Für tagesschau.de ist es Lebensstil und öffentlich-rechtliche Anstalten zwacken von ihrem ach so unzureichendem Gebührenaufkommen die nötigen Mittel ab, um vegane Kochrezepte auf ihren Internetseiten abzudrucken. Soziologen erkennen bei der urbanen Elite vegane Anwandlungen als Streben nach Imagegewinn und Teil der Selbstoptimierung. Und damit der das Vegane nicht nur auf der Zunge liegt, können sie vegane Sandalen von Birkenstock tragen, Vegan Food Management an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Berlin und Köln studieren oder ein veganes Mehrfachschaumbad nehmen.

Da versteht sich, dass Buchverlage jedwede vegane Lebenshilfe servieren und auch immer verkrampftere Œuvres anpreisen. Der Münchner ZS-Verlag, der sich beim Thema Kochen zu den führenden Häusern zählt, kündigt von einer Madame-online-Redakteurin, die dort nach einem „Modejournalismus-Studium am liebsten über Reisen, Fitness und Healthy Living schreibt“, ein Buch über Burger, Hack und Gulasch auf vegane Art an und wirbt: „Selbst der größte Fleischfan … wird überrascht sein, wie authentisch Gulasch aus Jackfruit schmeckt oder Thunfisch aus Tomaten.“

Besonders gern probieren das Frauen unter 29 Jahren, denn die stellen laut Marktforschung rund 80 Prozent des deutschen Aufkommens an Vegetariern und Veganern. Appetit machen denen Teile der Nahrungsmittelindustrie, die Tierschützer generell und Gegner der Massentierhaltung speziell sowie all jene gesellschaftlichen Kräfte, die bei der Verquickung von Tierzucht und Erderwärmung vor Verantwortung fürs Klima und künftige Generationen strotzen.

All diese Wohlmeinenden bekräftigen ihre hehren Absichten, Gesundheit zu bewahren und dabei die Welt zu retten, mit Studien en masse – bis hin zum „Eat-Lancet“ des veganen Harvard-Professors für Epidemiologie und Ernährung Walter Willett und der ideologisch geprägten norwegischen Denkfabrik Eat. Sie präsentierten Anfang des Jahres voller Mediengetöse eine pflanzenbasierte Diät für alle Menschen auf Erden, deren Wissenschaftlichkeit ein Stanford-Kollege als Science Fiction abqualifizierte. Weniger erhaben war eine Tierquälerei-Serie des britischen „Guardian“ aufgrund einer zweckgebundenen Spende von einer Million Euros der kalifornischen Tierwohl-Stiftung Good Ventures, die mit dem nicht weit entfernten Unternehmen Impossible Food verbandelt ist, das pflanzlichen Fleischersatz fertigt.

Wie sehr das Vegane von kommerziellen und ideologischen Interessen sowie einseitiger oder unfundierter Forschung gefüttert wird, recherchieren die Medien ebenso selten wie die weit überproportionale Zahl von Veganern und Vegetariern in den medizinischen und psychiatrischen Praxen. Es irritiert auch keinen Foodie, der Fotos seiner veganen Gerichte postet und damit nach Ansicht der Wiener Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin Hanni Rützler „signalisieren will: Ich bin sensibel, ich bin reflektiert, ich bin politisch engagiert … Früher hieß es: Man ist, was man isst. Heute heißt es: Man ist, was man nicht isst. Die sogenannten free froms sind ein absolutes Zeitphänomen: Menschen, die auf dem Teller alles Mögliche meiden. Sie essen und trinken sehr problemorientiert, sorgen sich permanent: um die Umwelt, um ihre eigene Gesundheit.“

Als eine der ersten hierzulande machte sich Nina („Alles wird gut“) Ruge frei, die nach ihrem Buch „Keine Angst vor großen Köchen“ (2006) dieselben als Gast in deren Restaurants herausforderte: „Ich esse nichts, was Augen hatte.“ Der einzige Sternekoch, der ihr das unaufgefordert bietet, ist Andreas Krolik im Frankfurter Lafleur; eines seiner zwei Menüs bereitet er seit 2014 vegan zu.

Was die free froms und der Rest der Menschheit künftig nach dem Willen der Ernährungsindustrie essen sollen, ist klar: Lebensmittel aus der Retorte statt aus nachhaltiger Landwirtschaft. In Labors lässt sich schon heute aus Zellkulturen synthetisches Fleisch erzeugen, dass so geschmackvoll und nahrhaft wie vom ehrenwerten Metzger ist. Aber es hat noch das kostspielige und ideologische Handicap, dass dazu ein Wachstumsserum aus dem Blut ungeborener Kälber nötig ist, die den Verlust nicht überleben. Doch dieses Problem wird eine üppig finanzierte Forschung in USA und Israel sicher bald lösen.

Was bleibt ist die – an den vergleichsweise harmlosen Konflikt von Rauchern und Nichtrauchern im Restaurant erinnernde – Verhärtung der Fronten zwischen Veganern und Karnivoren. FAZ-Feuilletonistin Julia Bähr: „Für manche Menschen sind Vegetarier und Veganer die Feinde von allem, was gut und menschlich ist. Wie kommt es, dass Fleischverzicht auf so wütende Reaktionen stößt?“ Alleskoch Alfons Schuhbeck: „Warum sind Veganer und Vegetarier so aggressiv gegen Fleischesser? Führt nur Fleisch zu der gelassenen Haltung des Leben-und-leben-Lassens?“