Fleischlos boomt in der FAZ und Tagesschau, ist für Dr.Oetker, Die Zeit und den Stern im Mainstream und liegt auch für Michael Käfer so „voll im Trend“, dass er seine Gastronomie heute um das vegetarisch-vegane Restaurant Green Beetle erweitert. In dem Meinungsbild müssen Zahlen wie aus dem Ernährungsbericht der Bundesregierung oder aus dem Konsummonitor Nachhaltigkeit des Handelsverbandes für 2021, wonach sich nur 10 bzw. 6,1 % der Deutschen vegetarisch und 2 bzw. 1,9% vegan ernähren, ja nicht stören. Eher irritieren könnte Der Fleischatlas 2021 der Heinrich-Böll-Stiftung. Die offiziell parteinahe Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen versteht sich als Agentur für grüne Ideen und Projekte, als reformpolitische Zukunftswerkstatt und internationales Netzwerk. Aus ihrer Fleischbeschau, die sie international als Meat Atlas 2021 publik macht:
„Der weltweite Fleischkonsum hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt und erreichte 360 Millionen Tonnen im Jahr 2018. Die Bevölkerung ist gewachsen, die Einkommen sind gestiegen – beide Faktoren haben die Zunahme zu ungefähr gleichen Teilen verursacht. Die Prognosen für die Fleischindustrie waren ohnehin schon gut – bis 2028 wird der Fleischkonsum möglicherweise noch einmal um 13 % wachsen…
In den meisten Industrienationen liegt der Fleischkonsum seit Jahrzehnten relativ konstant auf hohem Niveau. Während in Deutschland 2019 fast 60 Kilogramm pro Person gegessen werden, sind es in den USA und Australien mehr als 100 Kilogramm. Seit einigen Jahren sinkt die Nachfrage in einigen Industrieländern leicht, weil die Bedenken bezüglich Gesundheit, Tierwohl und Umwelt zunehmen. Das größte Wachstum des Fleischkonsums wird in den Ländern des Südens stattfinden. Der Industrieländerorganisation OECD zufolge steigt die Nachfrage dort bis 2028 vier Mal mehr als in den Industrieländern… Die Nachfrage nach Fleisch wird wohl auch in China weiter steigen, das Wachstum jedoch deutlich geringer werden. Denn die Sorge um Übergewicht wächst, und ab 2030 wird die Bevölkerungszahl wieder zurückgehen. In Afrika und Asien wird der Fleischkonsum die Produktion überholen. Daher werden auch die Importe zunehmen, besonders schnell in Subsahara-Afrika. Der Anstieg der Fleischimporte wird aber vom nichtchinesischen Asien angetrieben. Auf die Region insgesamt werden bis 2029 rund 56 % des Welthandels entfallen…
Die globalen Großtrends treffen nicht auf alle Fleischsorten in gleichem Maße zu. Während der Anteil von Rind und Schaf am Gesamtkonsum abnimmt, essen die Menschen immer mehr Schwein und Geflügel… Auf Schweinefleisch entfallen rund 28 % des Wachstums in den kommenden zehn Jahren, angetrieben vor allem durch den steigenden Konsum im asiatischen Raum…
Zum Fleischkonsum in Deutschland: Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung ernähren sich doppelt so viele 15- bis 29-Jährige vegetarisch oder vegan. Für viele junge Erwachsene ist der Verzicht auf Fleisch ein politisches Statement. Das Ziel, den Konsum tierischer Produkte um bis zu 50 % zu verringern, ist entscheidend für eine nachhaltige Ernährung. Auf dem Weg dorthin ist der Blick auf die Ernährung der jungen Generation besonders wichtig. Exklusiv für den Fleischatlas wurden daher 1.227 junge Deutsche im Alter von 15 bis 29 Jahren im Oktober 2020 zu diesem Thema interviewt. Die Onlineumfrage ist hinsichtlich des Geschlechts, der Region und Bildung repräsentativ.
Die Ergebnisse zeigen: Fleischverzicht liegt bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Trend. 10,4 % ernähren sich vegetarisch, 2,3 % vegan. Zusammen verzichten damit knapp 13 % auf Fleisch – rund doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Insgesamt steigt ihre Zahl an: Vor zehn Jahren lag sie bei 4,3 %, heute nach verschiedenen Studien bei etwa 6 %. Die Bewegung Fridays for Future und ihr Umfeld sind damit zu einem wichtigen Treiber für pflanzlich dominierte Ernährungsstile geworden. Rund ein Drittel derjenigen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, haben erst im vergangenen Jahr auf fleischfrei umgestellt…
Wer gehört zu denen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren? Rund 70 % in beiden Gruppen sind Frauen, zudem sind die Jüngeren etwas stärker vertreten. Unter den Studierenden gibt es etwas mehr Veganer und Veganerinnen, unter denjenigen mit Berufsausbildung etwas häufiger Omnivoren und Omnivorinnen, also Menschen, die nicht auf Fleisch und tierische Produkte verzichten und grundsätzlich alles essen. Wer sich für Technik und Handwerk interessiert, isst tendenziell mehr Fleisch. Insgesamt gibt es aber nur erstaunlich geringe Unterschiede bei den soziodemografischen Merkmalen. Auch eine Spaltung zwischen Stadt und Land hat die Umfrage nicht ergeben…
Bei den Veganern und Veganerinnen sehen sich 75 % als Teil der Klimaschutzbewegung, bei den Vegetariern und Vegetarierinnen fast 50 %; bei den Omnivoren und Omnivorinnen sind es nur 15 %…Ganz offensichtlich ist der Fleisch- oder Nicht-Fleischkonsum heute ein stark politisches Thema, keine private ‚Geschmacksfrage‘.“
PS: Michael Käfers nicht minder trendbewusster Kollege Herbert Seckler von der Sansibar auf Sylt erkannte im Hochsommer: „Ohne Veggie geht’s nicht mehr, klar. Aber der Trend flacht schon wieder ab. Das wird sich nicht durchsetzen, da bin ich überzeugt.“
Foto: feinkost-kaefer.de/greenbeetle