Nicht einvernehmliche Berührungen, unsittliche Angebote, Anbahnung ausbeuterischer sexueller Beziehungen: Das warfen 21 amerikanische Sommelieren im Oktober letzten Jahres in der New York Times mehreren männlichen Master Sommeliers vor. Am Mittwoch letzter Woche entschied der Court of Master Sommeliers, dass 6 der 22 betroffenen Männer ihren Titel und die Mitgliedschaft verlieren und einige weitere mit Sanktionen rechnen müssen.
Das Urteil ging durch die US-Medien, denn Master Sommelier ist der prestigeträchtigste Titel in der Weinwelt, seit 1984 von der Londoner Non-Profit-Organisation Institute of Masters of Wine nach einer mühseligen Prüfung verliehen. Sie umfasst 3 Teile (Theorie, Praxis, Masterarbeit zu einem Weinthema), dauert 2 Jahre und wird von höchstens 5 % der Bewerber bestanden – die dann zu den bestbezahlten und einflussreichsten Mitgliedern des Berufsstandes gehören. Weltweit schafften das bislang 149 Frauen und 269 Männer aus 32 Ländern; in den USA 131 Männer und 24 Frauen, in Deutschland 4 Frauen und 6 Männer*. Sie verdienen in Top-Restaurants oder als Botschafter für globale Marken und große Weingüter, als Berater für Luxushotelketten oder leitende Angestellte im Weinhandel laut Angaben im mitteilsamen Amerika locker 10.000 $ im Monat oder 1000 $ am Tag. Derzeit streben weltweit 764 Kandidaten den Titel an, die von Master Sommeliers betreut und geprüft werden.
Das Urteil, nach einer externen, neunmonatigen Untersuchung der Vorwürfe durch die renommierte Arbeitsrechtlerin Margaret C. Bell ergangen, stellt das Sextett durch Veröffentlichung der Namen nicht nur an den standesrechtlichen Pranger. Bekanntestes Gegenteil eines Womanizers ist der Mitbegründer des Court, Fred Dame aus San Francisco, der in der Sardine Factory in Monterey begonnen hatte, als Doyen der US-Sommeliers galt und 2012 im US-Film Somm seine legendäre Rolle selbst spielen durfte; die Doku fand Fortsetzungen und lief auch im TV. Die übrigen Betroffenen im vinophilen #MeToo: Robert Bath, Professor am St. Helena‘s Culinary Institute of America; Fred Dexheimer, Weinberater in Brooklyn; Drew Hendricks, bis November 2020 Director of Business Development bei Pioneer Wine Co. in Texas; Joseph Linder, Sommelier in Seattle, der sich beschwerte, dass „Kollegen, die mit betreuten Kandidatinnen während der Prüfungsphase Sex hatten, kein Hammer getroffen habe“; Matt Stamp, lange Sommelier in der dreisternewürdigen French Laundry und Mitinhaber des Napa Restaurants Compline. Die Verurteilten haben 30 Tage Zeit, um gemäß den Gesetzen für gemeinnützige Organisationen Berufung gegen die Entscheidung einzulegen. Der siebte Angeklagte, Geoff Kruth, trat schon 2020 als Präsident von GuildSomm (einer Fortbildungsorganisation für Top-Sommeliers) zurück und jetzt vor dem Urteil aus. Mehrere prominente Sommeliers kündigten an, ihre Titel aufzugeben, weil die elitäre Vereinigung durch das Fehlverhalten von Mitgliedern diskreditiert sei.
Deren letztes Jahr nach dem Times-Artikel neugewählte Vorstand (8 Männer, 3 Frauen) engagierte sich seither sehr für Veränderungen. Er schaffte die geschlechtsspezifische Kleiderordnung ab, führte ein Stipendienprogramm für weibliche und farbige Kandidaten sowie Richtlinien zur Bekämpfung von Diskriminierung und Belästigung ein und erweiterte den bisher 2seitigen Ethikkodex auf 26. Den billigten bereits 80 % der Mitglieder. Doch die Vorstandsvorsitzende, die in der Weinszene hochangesehene Emily Wines von der kalifornischen Cooper‘s Hawk Winery & Restaurants, beklagt: „Das sexuelle Fehlverhalten ist eine Schande. Frauen, die Ikonen der Frauenförderung und großartige Führungspersönlichkeiten in unserer Organisation hätten sein können, gingen stattdessen weg. Und jetzt weiß ich warum.“
* Konstantin Baum (Online-Weinhandel), Romana Echensperger (Berater, Kolumnistin), Stefanie Hehn (Sommelière), Anne Krebiehl (Journalistin), Moritz Nikolaus Lüke (Weinhandel), Jürgen von der Mark (Winzer), Caro Maurer (Journalistin), Markus Del Monego (Berater), Frank Röder (Weinhändler, Ex-Lufthansa-Pilot), Janek Schumann (Weinhändler, Weinbar, Berater)
Foto: Cooper’s Hawk Wine Club