Für den Regenten des größten Hopfenanbaugebiets der Welt, Markus Söder (der nur bei öffentlichen Auftritten Bier und sonst wie Donald Trump Cola trinkt), ist er das „bayerische Gold“, für deutsche Brauer ist Hopfen „die Seele des Bieres“. Von diesem Glauben abgefallene kalifornische Kollegen nehmen lieber Fichtenspitzen, Mate-Tee oder wilden Salbei und verkaufen ihr Gebräu als Gruit. Dies englische Wort für Kräutermischung ist vom 999 erstmals urkundlich erwähnten mittelniederdeutschen Grut abgeleitet, das seinerzeit den Biermarkt an der gesamten Nordseeküste prägte. In den drang erst im 13. Jahrhundert aus den deutschen Hansestädten das mit Hopfen gebraute und dadurch haltbarere Bier vor, das die rasch verderbenden und dadurch nicht exportfähigen Kräuterbiere verdrängte. Ein paar lokale Brauereien von Dänemark über die Niederlande bis Schottland überlebten und weckten in den USA Interesse an ihrem Alt-Bier. Schon zuvor erlebte der Hopfenmarkt, auf dem derzeit 200 Sorten angebaut wurden, Erschütterungen, als das Craft Beer aufkam und Flavourhopfen initiierte. Er ergänzte die mehr oder weniger bittere Hopfenklassik um blumige, fruchtige oder kräuterige Geschmacksnoten. (Außerdem ermöglicht US-Gentechnik seit 2018, Hopfen durch Bierhefestämme zu ersetzen.)
Die jetzige kalifornische Renaissance des Grutbiers will keine medizinisch schmeckenden fermentierten grünen Säfte kredenzen, sondern das Aromaspektrum im trendbewussten Zeitgeist erweitern – weniger durch weitere innovative Aromen, sondern mehr durch modisches storytelling. Die kulinarische Begeisterung für regionale, heimatlich heimelige Produkte inspirierte Jim Woods, den Gründer von Woods Beer & Wine in San Francisco, der sich das Brauen selbst beibrachte und einen Bachelor in Management Science erwarb, zu Bier aus Napa-County-Honig, aromatisiert mit Eukalyptus, Lavendel und Schafgarbe sowie seinem mit Yerba Mate, Lorbeerblättern und Hibiskus gebrauten Morpho. Brian Hunt von Moonlight Brewing in Santa Rosa erzählt, dass er durch Bergleute in Kalifornien, die Pinien zum Bieraromatisieren nutzten, wenn sie keinen Hopfen bekommen konnten, und durch den skandinavischen Brauch, teuren Hopfen durch immergrünes Laub, insbesondere Fichte, zu ersetzen, auf die Idee kam, in den umliegenden Wäldern nach Nadelbaumspitzen zu suchen und die von den riesigen Redwoods für gut befand: „Die kleinen Spitzen sind perfekt gegen Ende Mai, wenn sie ein zitroniges Aroma haben, sonst schmecken sie eher wie ein Weihnachtsbaum.“
Nile Zacherle von Mad Fritz Brewing in Napa setzt auf Kräuter, die im Umkreis seiner Fahrradtouren zu zupfen sind – sogar in den Gärten des Dreisterne-Restaurants French Laundry. Da kommt viel für die Brauerei zusammen: Thymian, Geranien, Chrysanthemenblüten, Hagebutten, Senfblüten, Rhabarber, Hibiskus, wilder Salbei, Lorbeer… Was Zacherle zusammenbraute schmeckte der San Francisco Chronicle ab: „Die Zutaten von Mad Fritz sind subtil und ausgewogen … Wer den Geschmack einer Gemüsebrühe erwartet, bekommt einen Eindruck von Kräuterweißwein.“
Sehr prosaisch klingt nur Morgan Cox, Braumeister von Ale Industry in Oakland, der das Gruit-Geschäft auslöste: Hopfenknappheit ließ die Preise dermaßen steigen, dass „wir uns auf die Suche nach einem Stil machten, der ohne Hopfen hergestellt werden konnte“. Ergebnis war ein Bier namens Golden State of Mind aus Gerste, Weizen und Hafer, aromatisiert mit Koriander, Kamille und Orangenschale. Mit frischem Bio-Kirschsaft wird es zum Cherry Kush aufgemixt – und erinnert ans Radler aus Hopfenbier mit Limonade.
Foto: woodsbeer.com