In den Tagen nach der Wiedereröffnung ihrer Restaurants haben die allermeisten Spitzenköche logischerweise so viele Probleme mit ihren Tellern, dass Sie noch nicht über den Tellerrand in die Zukunft blicken können. Doch es gibt erste prominente Aus- und Ansichten.
Yannick Alléno, 51, mit zehn Michelin-Sternen in fünf Restaurants ausgezeichneter Küchenchef (jeweils drei im Alléno in Paris und im 1947 in Courchevel):
Ein Restaurant wiederzueröffnen ist ja nicht so simpel wie eine Glühbirne zu kaufen. Manches kann so wiedereröffnen wie es schloss, mit demselben Konzept und derselben Philosophie. Bei drei Sternen gibt’s hingegen viel zu tun. Es wäre ein grundlegender Fehler, einfach weiterzumachen wie bisher, vor allem dann, wenn das Restaurant wirtschaftlich nicht kerngesund ist. Ich weiß zum Beispiel nicht, wann unsere Bankettaktivitäten wieder aufgenommen werden: Große Unternehmen können während des Lockdown festgestellt haben, dass man auch von zu Hause aus weiterarbeiten kann, statt lange Treffen im Restaurant zu haben.
Ich bin ja grundsätzlich Optimist, aber seit vier Jahren kann die Situation in Paris nicht schlimmer sein. Nach den Attentaten ein Jahr der gelben Westen, dann große Streiks und jetzt Covid. Sicher ist, dass das nächste Jahr kein gutes sein wird und dass wir anders arbeiten müssen und darüber grüble ich jetzt.
(Foto: Pavillon Ledoyen)
Ferran Adrià, 58, der sein 2011 geschlossenes elBulli im August als „Museum der Innovation, als einen Raum des reinen Experimentierens“ ohne Gastronomie für Gäste wiedereröffnen will, „in dem wir Formate und Rezepte testen und unsere Studien weiter vertiefen werden“:
Ich fürchte eine Tragödie für Restaurants, insbesondere Gourmetrestaurants, nach Monaten der Schließung und mit dem Beginn einer touristischen Saison, die eine Katastrophe verspricht. Alle Prognosen für unsere Branche machen keinen Sinn mehr. Über Kochkunst zu sprechen und zu erörtern, wie sie sein soll, ist zweitrangig geworden. Jetzt gilt: Wenn ich kreditwürdig bin, kann ich mein Restaurant eröffnen, wenn nicht, dann nicht. Und wer geht als Gast ins Restaurant, um 100 € auszugeben und dabei an all die Probleme erinnert zu werden, die uns bewegen? Das Wichtigste beim Restaurantbesuch ist doch, mit Freunden zusammen zu sein und gut zu essen. Wenn dies nicht möglich ist, wird es sehr schwierig sein.
Nebenbei bemerkt: Ich glaube nicht, dass wir uns wirklich ändern werden. Seit Tausenden von Jahren sind Menschen eingebildet, egozentrisch, eigennützig. Es gibt zwar wundervolle Menschen, die helfen und Solidarität zeigen, wie wir während dieser Pandemie gesehen haben. Aber es ist ein kleiner Prozentsatz. Die anderen, zu denen ich gehöre, werden gleich bleiben: eingebildet und egozentrisch.
Wolfgang Puck, 70, der von seinem „Oscar“-würdigen Spago in Beverly Hills über Las Vegas und Hawaii bis Tokio 76 Restaurants betreibt (5000 Mitarbeiter, Jahresumsatz über 400 Millionen $):
Ins Spago werde ich, um die neuen Abstände zu kaschieren, Pflanzen, Bäumchen und Ähnliches mitbringen, um daraus einen Wintergarten zu machen. Ich möchte nicht, dass Gäste ins Restaurant gehen und Leere sehen. Ich denke sogar daran, einen Pianisten einzusetzen, damit die Gäste bei einem Drink nach dem Essen ein aufmunterndes Ambiente erleben und nicht ins Reden über das Virus kommen.
Im Allgemeinen kann ich nur appellieren: Unterstützen Sie Ihre Restaurants in der Nachbarschaft, gehen Sie auch in die Bars um die Ecke. Die großen Ketten, die McDonald’s und so weiter, werden immer überleben. Die kleinen Lokale in der Nachbarschaft sind ein sehr wichtiger Teil der Struktur einer Stadt oder eines Dorfes und Sie können nicht wollen, dass sie verschwinden. Wir wollen nicht plötzlich nur noch große multinationale Restaurantunternehmen haben. Unterstützen Sie Ihre heimischen Lokale.
Und jedem, der in diesem Frühjahr in der Gastronomie anfing oder anfangen wollte, kann ich nur zurufen: Sie haben bereits das Schlimmste erlebt, was es je gab. Es ist, als würde man während des Krieges geboren. Denkt positiv. Es wird besser.
Welche Lokale kommen wie gut aus der Krise?
Niemand kann vorhersagen, wie die Gastronomie die gegenwärtige Pandemie verdaut. Deshalb werten kluge Köpfe der Pariser „La Liste“, die sich im Gegensatz zur Londoner „The World‘s 50 Best Restaurants“ um seriöse Kriterien bei ihrer Hitparade bemüht, derzeit die Folgen durchlittener großer wirtschaftlicher Krisen für Lokale aus; jüngstes Beispiel: die argentinische Staatspleite.
Erstes Zwischenergebnis: Die Gastronomie mit populärer und heimischer Küche sowie die kulinarischen Treffpunkte des wirtschaftlichen und politischen Lebens kamen mehr oder weniger schnell aus der Misere. Schwer bis gar nicht erholten sich jene Kochkünstler, die meinen, dass die Welt nach verkopften Kreationen und avantgardistischen Attitüden lechzt. Die (besonders von Luxushotels gepflegte) Methode, zunächst die Preise zu senken, um sie nach Wiedergenesung kräftig zu erhöhen, schadete den Häusern langfristig.
Unkalkulierbar ist derzeit die Psyche der reisefreudigen und fürs Überleben der Spitzengastronomie finanziell wichtigen Amerikaner und Japaner: Haken sie Corona ab und schwärmen aus oder meiden sie wie nach weltweit erregenden Attentaten (beispielsweise in Paris) eineinhalb bis zwei Jahre lang jene Gegenden, die sie für besonders betroffen halten?