1993 kreierte der Dreisternekoch Martin Berasategui mit seinem karamellisierten Millefeuille von Räucheraal, Foie gras, Frühlingszwiebeln und grünem Apfel ein Gericht, das weltweit fast so ungeniert kopiert wurde wie Le cœur coulant au chocolat von Michel Bras oder der Loup de mer mit Zucchinischuppen von Fredy Girardet. Man könnte die spanische Vorspeise als Denkmal für den Aal würdigen, dessen drei essbare Hauptarten (Europäischer, Amerikanischer und Japanischer Aal) vom Aussterben bedroht sind. In Europa, wo er bis ins 20. Jahrhundert eine der häufigsten Fischarten war, büßte er seit den 1980er Jahren 90 bis 95 % seines Bestands ein: durch Überfischung, Verbauung der Flussläufe, Verschmutzung der Gewässer, eingeschleppte Parasiten, die Turbinen von Wasserkraft- und Pumpanlagen sowie den Export nach Asien.
Zwar schaffen es aus den Tiefen der Sargassosee (östlich der Atlantikküste Floridas), wo der Aal auf mysteriöse Weise geboren wird und stirbt, noch jährlich ca. 1,3 Milliarden junge Glasaale in europäische Gewässer. Von denen fing man bis 2010, da die Bestände des Japanischen Aals gleichermaßen schwanden und der schlüpfrige Fisch in ganz Ostasien immer gefragter wurde, rund 350 Mio. für den Export nach Fernost und die dortige Aufzucht in vornehmlich chinesischen Fischfarmen. (Etwa 52 Mio. Glasaale schwimmen jährlich in 20 zertifizierte europäische Aquakulturen.)
Dann verbot die EU aus Artenschutz diese Ausfuhr. Seither werden die Glasaale geschmuggelt und der britische Wildlife Trust-Funktionär Andrew Kerr, Chairman der europaweit agierenden Sustainable Eel Group, empörte sich unter Berufung auf Europol-Zahlen von 2018 über „das größte Verbrechen gegen Wildtiere auf dem Planeten“: Ein europäischer Fischer bekomme etwa 10 Cent pro Glasaal, der sei bei Ankunft in Hongkong 1 € und nach einem Jahr in einer chinesischen Zuchtfarm 10 € wert – „der Gewinn ist größer als beim Handel mit Drogen, Menschen und Waffen“.
Damit der Aal auch künftig in Aspik, Rührei oder seiner Hamburger Suppe serviert wird sowie bei Marc Haeberlin als Matelote nach der Art von Tante Henriette, bei Mauro Colagreco als Mousse mit Rote Bete und Sherryessig oder bei Alexandre Mazzia mit Chili in Schokolade gehüllt auf der Speisekarte stehen kann, forderte letzte Woche Frankreich oberster Angler, Claude Roustan vom Nationale Fischereiverband, ein „totales und absolutes Moratorium für den Aalfang für einen Zeitraum von 5 Jahren, insbesondere für Glasaale“.
Eine andere Problemlösung, bei der nicht bloß die 1 % der Glasaale in freier Wildbahn, sondern 90 % überleben, präsentierte fast zur gleichen Zeit Sara Rademaker in dem wissenschaftlichen US-„Gastropod“(cast): Ihr American Unagi, erste und einzige kommerzielle Aalfarm der USA, kann nun jährlich eine Million Aale aufziehen, verarbeiten, räuchern und für den Verkauf verpacken. Damit kann die Unternehmerin aus Waldoboro (Bundesstaat Maine), die mal Tierärztin werden wollte, aber einen Bachelor in Fischerei und Aquakultur machte, 95 % des in den USA verzehrten Aals liefern. Sie konkurrenziert damit dieses gängige amerikanische Aal-Business: An der Atlantikküste ankommende Glasaale werden gefangen, nach China verschifft und dann aus dessen Zuchtfarmen verzehrfertig reimportiert. Da darf die Amerikanerin ihr Produkt werbewirksam anpreisen: „Es ist ein besserer Aal.“
Foto: Courtesy Restaurant Martin Berasategui