Es ist so französisch wie Rotwein und Käse, wie der Eiffelturm und St-Tropez: das Baguette, meist 65 cm lang, aus 4 simplen Zutaten und seit gestern Weltkulturerbe. Als die Unesco ihren Beschluss im marokkanischen Rabat verkündete, hielt selbst Staatspräsident Macron während seiner Visite beim Kollegen Biden inne und twitterte aus dem Weißen Haus: „250 Gramm Magie und Perfektion in unserem täglichen Leben. Ein französisches Lebensgefühl. Wir haben jahrelang mit Bäckern und der Gastronomie um seine Anerkennung gekämpft.“ Zu seinem Tweet ließ er das Bild „Der kleine Pariser“ des Fotokünstlers Willy Rony stellen, auf dem 1952 ein Knirps mit einem Baguette heimläuft.
Auch 3 der Macron-Minister gaben ihren Sermon zur Weihe des täglichen Brots. Kulturministerin Rima Abdul Malak: „Morgens, mittags und abends gehört das Baguette zum Alltag der Franzosen. Große Anerkennung für unsere Handwerker und diese verbindenden Orte, die unsere Bäckereien sind!“ Tourismusministerin Olivia Grégoire: „Geehrt wird das französische Savoir-vivre, unsere Traditionen des Teilens und der Geselligkeit und vor allem das Know-how unserer handwerklichen Bäcker. Bravo!“ Und Landwirtschaftsminister Marc Fesneau: „Das französische Baguette ist exzellent in seiner Einfachheit, mit nur 4 Zutaten (Weizenmehl, Wasser, Hefe und/oder Sauerteig, Salz). Eine Exzellenz, die im täglichen Leben aller Franzosen verankert und auf der ganzen Welt anerkannt ist, auf die wir alle stolz sein können!“
Wer hat’s erfunden? Das ist schwerer zu beantworten, als die Frage, wer es als typisch französisch deklarierte. „Die ersten, die die Franzosen und ihr Baguette – dieses sehr seltsame und andere Brot – ins Gespräch brachten, waren Touristen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Paris kamen. Es war die Sichtweise von Außenstehenden, die die französische Identität mit dem Baguette verband,“ doziert der Sorbonne-Historiker Bruno Laurioux, der das akademische Komitee für die Baguette-Bewerbung leitete. Der auf mittelalterliche Lebensmittel spezialisierte Laurioux erzählt die Baguette-Historie so: Es hätte bereits 1600 längliche Brotlaibe gegeben, ursprünglich für wohlhabendere Pariser gedacht, die im Gegensatz zu den 1,2 bis 2 kg schweren, runden Brotlaiben was leichtes Frisches wollten und lieber Kruste als Krume mochten. (Nach diesen Kugelbroten, französisch boules, heißen die Bäckereien boulangeries.) Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es auf dem Lande populär.
Es kursieren aber auch 3 weniger prosaische Entstehungsgeschichten auf Wekipedia-Niveau. Baguette wäre Anfang des 19. Jahrhunderts von Napoleons Bäckern erfunden worden: Leichter und weniger sperrig als das traditionelle Brot ließ es sich einfacher in den Taschen der Soldaten tragen. Der Wiener August Zang hätte in seiner 1839 in Paris eröffneten Bäckerei ovale Brote wie in seiner Heimat verkauft. Projektleiter des Pariser U-Bahnbaus in den 1900er Jahren hätten die Bäcker ersucht, Brot zu kreieren, das sich ohne Messer teilen ließ, um die häufigen Kämpfe zwischen Arbeitern aus der Bretagne und der Auvergne unblutiger werden zu lassen…
Die brotreiche Kunst, aus 4 simplen Zutaten etwas Besonderes zu machen, sehen Frankreichs Bäcker in der Entwicklung spezieller Hefen, um die lange Fermentationsphase des Teigs zu inspirieren, besonderer Messer, um die Brotoberfläche einzuritzen und die charakteristische goldene Farbe zu erzeugen, und langstieliger Holzschaufeln, um die flûtes sanft aus dem Ofen zu holen. Einen weiteren Erfolgsgrund sieht der Historiker Steven Kaplan, Autor von „Cherchez le pain“: „Einfacher herzustellen als rustikale Laibe, ein Brot, das gerade wegen seiner phallischen Form fasziniert.“ Lustmindernd findet Kaplan: „Durch die Hervorhebung des Baguette ohne weitere Details zeichnet die Unesco ein Know-how aus, das in der Vergangenheit verwurzelt ist. Aber es legitimiert unter diesem Oberbegriff auch das häufig konsumierte weiße Baguette von meist sehr mittelmäßiger Qualität.“
Foto: Willy Rony/Ministère de la Culture – Médiathèque de l’architecture et du patrimoine