Bevor sich ein Amerikaner zum ersten Burger-Meister ernennen konnte, musste erst vielfach Mise en place für das meistgegessene Gericht der Welt gemacht werden: durch die mongolischen Reiterhorden des Dschingis Khan, die zwischen Sattel und Pferd rohes Fleisch zuritten und auf ihren bisweilen tagelangen Galoppaden etwas mit einer Hand Essbares brauchten; durch die ebenfalls reitseligen Tataren, die die Fleischeslust der Mongolen zu dem wandelten, was wir als Tatar ahnen können; durch Seeleute, die möglicherweise aus der Hafenstadt Hamburg das Hacksteak alias Hamburger Beefsteak in die USA mitbrachten – und durch die Erfindung des Fleischwolfs, 1897 als Universal Meat Chopper patentiert.
1885 aktenkundig wurde in der ersten selbsternannten „Heimat des Hamburgers“ der 15 Jahre alte Charlie Nagreen, der auf dem Outagamie Jahrmarkt in Seymour (Bundesstaat Wisconsin) von einem Ochsenkarren Fleischbällchen verkaufte und meinte, dass der Snack für die herumgehenden Messebesucher bequemer sei, wenn er die Kugeln zwischen zwei Scheiben Brot plattdrückte. Zu Gitarre oder Mundharmonika sang er, auf die Steaks der deutschen Einwanderer in der Gegend anspielend: „Hamburger, Hamburger, Hamburger heiß; Zwiebeln in der Mitte, Gurke oben drauf. Da lecken Sie sich die Lippen.“
Ebenfalls 1885 mussten die Brüder Frank und Charles Menches aus Akron (Ohio) auf dem Erie Jahrmarkt in Hamburg nahe der Niagara-Fälle bei einer Veranstaltung für die bessere Gesellschaft der Gegend improvisieren. Sie kamen an kein Schweinefleisch für ihre beliebte Pastete, weil die Metzger wegen großer Hitze nicht schlachteten. Also brieten sie Rinderhack, das damals in der Upperclass verpönt war, peppten es wegen seines faden Geschmacks mit Kaffee, braunem Zucker und Gewürzen auf und gaben es zwischen zwei Scheiben Brot. Das seltsame Sandwich fand überraschend großen Anklang und einer der Brüder antwortete auf die Frage, wie ihr Brot denn heiße: „Hamburger“, weil er gerade den Ortsnamen auf einem Schild vor Augen hatte.
1891 kam der Farmer Oscar Weber Bilby nahe Tulsa (Oklahoma) am 4. Juli dem heutigen Burger näher, als er auf einer Grillparty zum US-Nationalfeiertag der Nachbarschaft das saftige Hack vom eigens gefertigten Eisengrill über Hickoryholzfeuer auf den hausgemachten Hefebrötchen seiner Frau Fanny servierte. Die Begeisterung ließ Bilby und seinen Sohn Leo in Tulsa den Webers Superior Root Beer Stand eröffnen, in dem sie Burger und hausgemachtes Root Beer boten (alkoholfreier, kräutriger Softdrink).
1895 ließ der eingewanderte Däne Louis Lassen in seinem Louis‘ Lunch in New Haven (Connecticut) einen Hamburger vom damals populären vertikalen Gusseisengrill zu servieren und schaffte es zur Anerkennung als Geburtsstätte des Hamburger Sandwichs in die Annalen der Kongressbibliothek in Washington. 1904 kamen Texaner in Athens auf die werbewirksame Idee, in der „Originalheimat des Hamburger Sandwichs“ zu leben, weil ihr Mitbürger Fletcher Davis es auf der Weltausstellung in St. Louis vorgestellt und in der New York Tribune gebührende Anerkennung für seine Novität gefunden habe – doch Schriftliches findet sich darüber nicht.
1921 begannen die Geschäftspartner Edgar Waldo Ingram und J. Walter Anderson, das durch die steigende Verbreitung des Hamburgers über schlichte bis schäbige Verkaufsstellen zunehmende Arme-Leute-Image des Gerichts aufzupolieren: Koch Anderson und Ex-Versicherungsmakler Ingram eröffneten in Wichita (Kansas) das White Castle mit weißen Tellern und Edelstahlbesteck, einsehbarer Küche und der dem Fließbandsystem des Autobauers Henry Ford abgeschauten Produktionsweise. Ihre Idee begründete die erste Burger-Kette.
1948 startete das erfolgreichste Filialkonzept, als die Brüder Richard und Maurice ihr McDonald‘s Famous Hamburgers in San Bernardino (Kalifornien) eröffneten; 1954 folgte in Miami der erste Insta-Burger King.
Danach erstaunten nur noch Bemühungen, den Burger in die gute Küche zu integrieren und der Bling-Bling-Klientel schmackhaft zu machen. 2004 bot der Drei-Sterne-Koch Juan Mari Arzak in San Sebastián einen Hamburger aus Schokolade als Menüdessert und eröffnete Ferran Adrià in Madrid als Kontrastprogramm zu seinem weltweit gehypten Drei-Sterne-Molekulartempel El Bulli das Fast Good und bot dort u.a. einen Hamburger für 15 € aus spanischem Rinderhack mit Tapenade aus schwarzen Oliven in winzigen roten Plastikbechern sowie jeden Morgen frisch geschnittene, in täglich wechselndem Olivenöl frittierten Pommes Frites im Pappkarton – plus die Erkenntnis: am Schneiden feinsten Entrecôtes für den Burger gescheitert zu sein und dass kein Spitzenkoch den Hamburger zum McDonald’s-Preis besser machen könne. Als 2010 in der Burger Brasserie des Hotels Caesars Palace in Las Vegas ein Burger mit Kobe Beef, Hummer, 100 Jahre altem Balsamico und einer Flasche Dom Pérignon rosé zum Pauschalpreis von 777 $ serviert wurde, toppte man das im 3 Meilen entfernten Fleur des Mandalay Bay Casino & Resort durch einen Burger mit Wagyu Beef, Trüffel und einer Flasche 1995er Pétrus für 5000 $.
2021 huldigt in München die Käfer-Wiesn-Schänke auf dem Oktoberfest mit einem Vegan Burger aus Erbsen-Proteinen dem unaufhaltsamen Hamburger Erfolg; man kann sich bereits für 17,90 € im Stammhaus auf den Wandel traditioneller Fleischeslust zur zeitgeistigen Laborküche der Lebensmittelindustrie gewöhnen…
Foto: Caesars Palace in Las Vegas