Für die 187.000-Einwohner im baskischen San Sebastian geben gleich drei Drei-Sterne-Köche (Arzak, Berasategui, Subijana) ihr zeitgemäß Bestes. Da hat es Andoni Luis Aduriz gewiss nicht leicht, Gäste zur Zwei-Sterne-Küche in sein aussichts- und idyllenlos gelegenes Landhaus zu locken. Um sich etwaige Vergleiche zu ersparen, versteht Aduriz sein Mugaritz als „Synonym für Forschung und Entwicklung, das das Wort Restaurant verbannt“. Das wirkt sich nicht nur auf die Gerichte, sondern auch auf andere gastronomische Traditionen aus: Nach dem Verzicht auf eine Speisekarte und der Abschaffung von Desserts soll jetzt die Weinkarte entfallen. Aduriz-Logik: „Es macht keinen Sinn, dass ein Restaurant, das keine Speisekarte hat, eine Weinkarte hat.“
Künftig sollen die Gäste nach Ankunft dem Sommelier ihre Geschmackswünsche und Mengenpräferenz nennen, damit er aus (nur noch) 60 Angeboten die passende flaschen- oder glasweise Weinbegleitung wählt. Das Menü kennt der Sommelier bereits im Gegensatz zu den Gästen, die bei der Reservierung ihre Allergien und Abneigungen nennen dürfen und dann etwa drei Stunden lang ca. 20 Kreationen im Amuse-Bouche-Format serviert bekommen. Was sie erwarten könnte, avisiert die Homepage mit kleinen Fotos und knappen Sach- oder Fantasieangaben à la gerösteter Eintopf mit Frühlingstränen, Haare des Lebens, Roquefort und Rind, Iss deinen Kopf, Milchgummi, Foie und Sauternes, Temperaturen vs. Geschmack…
Derlei Darbietungen sollen Gäste beglücken, die „bereit sind, alles, was man schon weiß, in Frage zu stellen“, proklamiert Aduriz und verheißt: „Wir nähren die Neugier, die Sinne oder das Verlangen und versuchen, den Hunger nach Risiken, Spielen oder Antworten zu stillen“. Die Reaktion ist höchst unterschiedlich. Das Wiener Magazin à la carte schwärmte: „ein wunderbares Illusionsgeschäft, ein faszinierendes Spiel mit unseren Sinnen, die mögliche Cuisine der Zukunft“. Forbes wähnte sich im „abenteuerlichsten Restaurant der Welt“ und die französische Foodjournalistin Marie-Laure Fréchet fühlte sich, ungalant, an die Geschichte vom Sohn erinnert, dem die Mutter nachweinte: „Du bist in die Küche gekommen, weil du in der Schule ein Trottel warst, aber zumindest kannst du essen.“
Solch Unverständnis ficht den 50-jährigen Erfinder der „Essbaren Steine“ nicht an: „Der Tag, an dem es keine Menschen gibt, die Mugaritz verärgert verlassen, wird bedeuten, dass wir konventionell geworden sind.“ Noch ist dieser Tag fern, denn Aduriz ist nicht so branchenkornform, nach Ende des Corona-Lockdowns ein Menü mit neuen Gerichten anzubieten – er serviert Erinnerungen an seine Anfänge.
Foto: ChefsAlp