Aus München kamen am 14. Mai zwei News: Die Stadtverwaltung will nach Absage des Oktoberfestes mit dezentral aufgestellten Buden für feuchtfröhliche Abwechslung sorgen, der Burda Verlag will den Gault & Millau „künftig deutlich journalistischer… kritischer, kompetenter und völlig unabhängig“ machen. Das hätte er schon lange tun können. Denn als der Salzburger Journalist Michael Reinartz 1979 in Paris die Lizenz für die deutschsprachigen Guides bekam, wollte er nur Österreich allein bewältigen und suchte für Deutschland und die Schweiz jeweils einen Verlag als Partner. Er sprach bei den vier größten deutschen Verlagen vor und handelte sich überall Absagen ein – Hubert Burda auf die Frage, warum sein Haus ablehnte: „Sie wissen doch, wir machen nichts Kritisches.“
Reinartz landete in Zürich bei Ringier, das damals in der Schweiz eine Marktmacht hatte wie die vier größten deutschen Verlage in der Bundesrepublik zusammen. Das Haus leistete sich den Gault & Millau, weil es in jener Zeit als so betulich wie Burda galt, und sich freute, endlich etwas Kritisches machen zu können.
Das Œuvre der französischen Journalisten Henri Gault und Christian Millau fand damals international so viel Anklang, dass das US-Magazine Time proklamierte: „Der Michelin ist das Alte Testament der Gourmetküche, der GaultMillau das Neue“. In Deutschland schaffte es der Guide, dass die Frankfurter Allgemeine mal urteilte, „so anschaulich, so amüsant bietet sonst keiner der bundesdeutschen Gourmet-Guides Lob und Kritik“. Das Ende dieses Amüsements, das die deutsche Testequipe strikt als Interessenvertretung der Gäste lange und oft mit mehr Säbel als Florett ausfocht, zeichnete sich ab, als neue französische Eigentümer statt der journalistischen und verlegerischen Pflege des Restaurant- und Weinguides ein vermeintlich lukrativeres Geschäftsmodell ersannen:
Der Gault & Millau lädt zu regionalen Veranstaltungen, auf denen er vor großem Publikum zeremoniös alle möglichen Auszeichnungen an lokale Koch- und Weingrößen verleiht und auf denen industrielle und andere Zulieferer der Gastronomie – gegen Standgebühr an den Guide – ihre neuesten Produkte zeigen. Die Guides sollten – bei happig abgespeckten Test- und sonstigen Kosten – nur noch als verbrämendes Marketing erhalten bleiben.
So etwas mag in Frankreich funktionieren, ist in den deutschsprachigen Lizenzländern aber nicht vermittelbar; allenfalls in Österreich kann der konkurrenzlose Gault & Millau die Problematik anders sehen. Der Schweizer Guide blieb seinen Prinzipien treu, in Deutschland verkündete 2017 der ZS Verlag als neuer Linzenznehmer (fast wortgleich wie die jetzige Burda-Pressemitteilung) „einen dynamischen Ausbau … in neue Geschäftsfelder … in enger Partnerschaft mit Gastronomen, Winzern und Markenpartnern“. Im ZS-CEO Jürgen Brandt fanden die Franzosen, was sie gar nicht gesucht hatten: den deutschen Totengräber des bisherigen Gault & Millau. Brandt wirkt kulinarisch unbedarft und scheint verlegerisch in seiner Branche kaum respektiert zu werden. Typisch für ihn ist das kürzlich erschienene Buch von Hans Jörg („Bacherl“) Bachmeier unter dem Titel Heimat schmeckt am besten, in dem der Autor laut Brandt-Werbung „einen kulinarischen Aha-Effekt“ wie Rote Bete im Salzmantel erzielt. Dass ein gewisser Alfons Schuhbeck schon 1990 für diese Kreation in Willsbergers Gourmet und im Gault & Millau gelobt wurde, muss in Brandts Welt ja niemand wissen und erwähnen.
Dem deutschen Gault & Millau schadete Brandt als Verleger, in dem er kaufmännisch die übliche zeitliche Budgetplanung der Anzeigen schaltenden Werbung und der für Fotoveröffentlichungen zahlenden Gastronomie entweder nicht verstand oder bewusst ignorierte und in dem er unternehmerisch nicht fähig war, den jährlich erscheinenden Guide durch einen ganzjährigen Internetauftritt mit Beiträgen der Tester im Publikumsinteresse zu halten. Nach Erledigung des Gault & MIllau diente er sich Ende 2019 dessen Konkurrenten gusto an. Der gestaltet Art und Umfang seiner Restaurantkritik nach dem Kostenbeitrag des Gastronomen. Ist dabei aber so generös, einen Starkoch, der aus prinzipiellen Gründen nicht zahlt, dennoch standesgemäß zu würdigen. Auch der Michelin nahm Geld von den Restaurants: Sie erfreuten den Guide, wenn sie z.B. ihre Tische tunlichst über bookatable reservieren ließen (das letzten Dezember vom Tripadvisorservice „The Fork“ geschluckt wurde) und pro Buchung einen Obolus zahlten. Dass man es mit bloßem Fleiß in solchem Marketing ohne kulinarischen Scharf- und Feinsinn weit bringen kann, offenbarte 2018 die Beförderung von Gwendal Poullennec zum weltweiten Michelin-Chef.
Auch die Pariser Gault & Millau-Zentrale hat nach den gescheiterten Enterpreneurs eine neue Führung, bestellt von einem russischen Investor, einem ebenso branchenfremden wie betuchten Wirtschaftsanwalt in Moskau. Die verlor aufgrund ihrer avisierten Visionen gleich mal die ebenso kompetente wie seriöse deutsche Chefredakteurin Patricia Bröhm. Hilfe auf der Suche nach einem neuen deutschen Lizenznehmer bot der „Lebenmittel-Kultur“schaffende Otto Geisel. Der gelernte Koch und ausgewiesene Weinexperte ist in der deutschen Szene wohlbekannt: Er betrieb mal das ererbte (und an einen Betreiber von Seniorenresidenzen verkaufte) Hotel Viktoria in Bad Mergentheim, verkostete Franken und Baden für den Wein-Gault & Millau und agiert mittlerweile auch als begnadeter Strippenzieher in München und seiner neuen Wahlheimat Südtirol. Dort kann er es sich dank der (gemunkelten 18) Millionen, die ihm seine Münchner Verwandten für den dortigen Anteil am Familienerbe Geisel-Hotels ausbezahlten, gut gehen lassen. Charmant und redselig konnte er schon immer jedem jedes Projekt schmackhaft machen – manches Mal nur solange, bis die von Geisel zugesagte Arbeit am vereinbarten Termin ausblieb und der Säumige immer schwerer erreichbar wurde.
Aus dem gesprächigen Hause Burda ist nun zu hören, dass Geisel La Société GaultMillau SA und BurdaStudios zusammenbrachte und ihm beide Seiten glauben, dass deutsche Winzer bereit seien, für einen Wein-Gault & Millau mit den Bewertungen ihrer Weißen und Roten großzügig einen finanziellen Beitrag einzuschenken. Auf die bisherige Chefredakteurin des Weinguides, Britta Wiegelmann, müssen die potentiellen Partner allerdings verzichten; auch sie retirierte.
Die angekündigte Restaurantguide-„Zusammenarbeit mit Produktpartnern“ darf man wohl so vermuten: In den Regalen lagern Waren, auf die gegen Zahlung an Burda ein Wapperl klebt, das dieses Produkt als Gault & Millau-Empfehlung etikettiert. Doch dazu müsste der nun „journalistischer… kritischer, kompetenter und völlig unabhängig“ daherkommende Gault & Millau ja der Supermarktklientel etwas bedeuten. Man darf sich in diesem Zusammenhang an Folgendes erinnern. Zu den Glanzzeiten des vom Gault & Millau zum „Koch des Jahrhunderts“ ernannten, mittlerweile mit Otto Geisel verbandelten Eckart Witzigmann gab es mal von dem Grand Chef, dessen Name deutschen Zungen keine Probleme macht, empfohlene Produkte. Sie lagen in den gläsernen Kühlregalen wie Blei. Der Produzent überklebte schließlich Witzigmann mit dem Emblem des Feinkosthauses Käfer – und fand Kundschaft.
Dass muss Burda nicht schrecken, denn es wird alle seine Absichtserklärungen zum neuen Gault & Millau im Vergleich zum bisherigen mit der ihm eigenen Grandeur realisieren: Die Bunte ist ja auch journalistischer als der Stern, Focus kritischer als der Spiegel und Mein Buffet kompetenter als Der Feinschmecker.