Rund um das Cognac-Haus blühen und gedeihen nicht nur die typischen Ugni Blanc-Reben, sondern zur allgemeinen Verblüffung auch fünf Hektar Wacholder. Denn der Herr auf Château du Bonbonnet in Ars destilliert nicht nur Weintrauben, sondern auch Wacholderbeeren – und ist Frankreichs geistreichster Unternehmer: Alexandre Gabriel brennt nicht nur für Cognac und Gin, sondern auch noch allerlei Obst für hauseigenen Rum und Likör, handelt mit Armagnac, Calvados und neben all diesem Traditionellen auch mit so Modischem wie Bio-Wodka Froggy B. Dabei kommt ihm das Wort Alkohol wegen dessen verdummenden, langweiligen Beigeschmacks nicht über die Lippen, nüchtern analysiert er: „Spirituosen werden in Frankreich nicht gefördert. Sie sind fast eine verlorene Zivilisation. Hier nimmt der Wein das ganze Licht ein.“ Um das zu ändern, verklärt er mit Marketingsinn fürs berauschende Storytelling seine Spirituosen als „Parfüms zum Trinken“.
Zu den Edelschnäpsen führte ihn keinerlei Vorbestimmung, sondern cleverer Geschäftssinn. Um Verbundenheit mit der Natur und deren Produkten zu bekunden, erzählt der im südlichen Burgund geborene Sohn einer Bildhauerin und eines Steinmetzes mit gutem Marmorgeschäft gern von den Wochenenden auf dem Bauernhof seines Opas, der ihm beibrachte, wie man einen Baum veredelt, eine Kuh melkt und Weintrauben erntet. Nach dem Abi studierte er Wirtschaftswissenschaften in Lyon und in Paris an der Elite-Hochschule ISG, die ihre Studenten nach New York und Tokio schickt und Gabriel auch in verschiedenen Weinbauregionen Frankreichs die wirtschaftlichen Probleme kleinerer Winzer analysieren ließ. Dabei stieß der schnell begreifende Student auf das abgewirtschaftete Erbe der Familie Ferrand, die schon 5 Jahrhunderte in bester Cognac-Traubenlage lebte, seit 10 Generationen auch brannte, über gute Vorräte und bestes Savoir-faire der Region verfügte. Gabriel durchschaute die Problematik, sah Lösungsmöglichkeiten und erkannte seine Chance: Mit 23 Jahren gründete er 1989 mit einem fürs Namedropping nötigen (und dann in der Versenkung verschwundenen) Pierre Ferrand mutig Maison Ferrand. Als Sitz der Firma, die ihm seit 1993 allein gehört, erwirbt er das ansehnliche Château de Bonbonnet aus dem 18. Jahrhundert, das er image-bewusst für das Wortgeklingel seiner Mission renoviert: „uralte, handwerkliche Produktionsmethoden zu bewahren, die Klassiker neu zu überdenken und gleichzeitig Innovationen voranzutreiben.“
Zunächst mal merkte er, dass Franzosen den Cognac zugunsten von Scotch aufgaben. Das inspirierte ihn, durch seine Studienaufenthalte in USA und Japan gewappnet, aufs Ausland zu setzen. Außerdem sah er eine Chance für den Cognac darin, ihn nicht pur zu propagieren. Er ersann ein „goldenes Zeitalter der Cocktailherstellung im 19. Jahrhundert, in dem Cognacs verwendet wurden“ und bewarb in seiner „jungen und lebhaften“ Sorte 1840 Original Formula „reife, saftige Traubennoten mit Gewürz- und Honigakzenten. Perfekt für exzellente Cocktails“. Das zahlte sich aus: „Ich hatte Glück durch die Geburt der Mixology, eine Bewegung von sehr leidenschaftlichen Menschen, die wissensdurstig sind und etwas erschaffen wollen.“ Zudem öffnete 2002 das Busta Rhymes-Album „Pass The Courvoisier, Part II“ den jungen US-Markt für den alten Geist.
Daheim steigerte er die Produktivität seiner Fima durch den Einfall, die Brennblasen doppelt zu verwenden. In denen durfte laut Cognac-Gesetz nur von November bis März gebrannt werden, den Rest des Jahres blieben sie ungenutzt. Nach fünfjährigem Ringen mit den zuständigen Gremien durfte er Wacholderbeeren brennen und brachte 1996 Citadelle als „Gourmet Gin“ auf den Markt. Der blieb ein echter Flop, bis 1999 die New York Times eine halbe Seite über ihn schrieb; 2009 adelte ihn Ferran Adrià, als er das Gin Tonic-Trinken zum „gastronomischen Akt“ erhob und dafür Citadelle empfahl, im großen Ballonglas auf Eis. Gabriel schmückt sich für seinen Schnaps-Mix aus Wacholder mit 19 Kräutern und Gewürzen als Master Blender und pionnier du gin français, den er lange vor dem Craft-Gin-Boom in Großbritannien kreierte. Letztes Jahr verkaufte er 1,5 Mio Flaschen.
Da Gabriel sein Spirituosen-Sortiment „wie ein Koch seine Küche konzipierte“, mit Drei-Sterne-Ambition bien sûr, ergänzte er sein mittlerweile in 89 Ländern serviertes Menü kontinuierlich. Er brennt Rum mit Ananasaroma auf Jamaika, mit Kokosgeschmack auf Barbados und importiert „sehr intensiven, reichen und runden“ von den Fidschi-Inseln. Neben seinen 5 Cognacs, 4 Gins und 6 Rums, die ganz besondere Connaisseurs auch in Gabriels Lastkahn auf der Seine a gusto reifen lassen können, produziert er noch 6 Liköre, für die seine Obstbauern selbstverständlich „nur die frischesten Früchte in ihrer höchsten Reife ernten, um sicherzustellen, dass wir die schmackhaftesten Aromen einfangen“ und in dessen Dry Curaçao „die Magie der Laraha-Orange“ enthüllt wird.
Bei alledem sieht er sich hauptsächlich als „Cognac-Juwelier“ und „Erbauer der Stradivari-Geigen, die die Mixologen spielen“.
Foto: Maison Ferrand