Mit sechsundsechzig Jahren fängt der pensionierte Champagner-Spiritus rector ein neues Berufsleben an: Er widmet es dem Sake und kredenzt ihn in den nächsten Monaten à la française – als Cuvée ganz nach Champagnerart. Zumindest handwerklich weiß Richard Geoffroy, was er tut: Er war von 1984 bis 2018 bei Moët Chandon, die letzten 18 Jahre als Kellermeister der Nobelcuvée Dom Pérignon. Seinen Bruch mit der japanischen Tradition, Sake nur sortenrein herzustellen, begründet er so: „Besonderheiten sind zweitrangig. Ich suche Gleichgewicht von Säure, Bitter, Salz, Umami, Mineralität und Süß. Ich schaue auch auf die Wirkungsverteilung – der vordere Gaumen, der mittlere Gaumen, die Länge, die Tiefe.“ Dafür kombiniert seine Assemblage fünf Hefestämme und drei Reissorten (Omachi, Gohyakumangok und Yamada Nishiki).
Den frappanten Wechsel von den Trauben zum Reis erklärt er im schwärmerischsten Marketing, das man auch als kritischen Rückblick verstehen kann: „Reis ist für mich universell, Trauben nicht. Die Kultur der Trauben in Asien ist bescheiden, in Afrika fehlt sie. Reis ist das ultimative Grundnahrungsmittel und dieses kleine weiße Korn ist rein. Es kann nicht verfälscht werden, es ist per Definition rein und Sake ist das Spiegelbild der Reinheit von Reis. Japanischer Sake ist reiner als alles andere in der Welt der fermentierten Waren: Es gibt keinen Zusatzstoff, keinen Tropfen, keinen Kuss oder ein Gramm von irgendetwas – es gibt nichts weiter.“
Seinen ersten Sake bietet er unter dem Namen „IWA 5“ an. Iwa ist aus Shiraiwa hergeleitet, dem Namen seiner neugegründeten Brauerei in Tateyama (250 km nordwestlich von Tokio). Die 5 steht für die Harmonie der nötigen Sake-Produktionselemente: Hefe, Reis, Terroir des Reises, Hefevermehrungsmethode (im Gärprozess) und Fermentation. Ab Brauerei kostet die (derzeit nur in Japan ausgelieferte) Flasche 14.300 Yen = 110 €. Sie steht auch schon auf den Karten hochgelobter Restaurants in Japan, Hongkong und Singapur. In Europa will Geoffroy seinen Sake zunächst in London, dann in Paris und Italien präsentieren.
Die Faszination für Japan ergriff ihn 1991, als er für Dom Pérignon das erste Mal dort war. Sein Liebesbekenntnis: „Wenn ich ein Wort für Japan habe, ist es Tiefe. Es hat so viele Schichten, wenn Sie eine abziehen, gibt es die nächste. Ich mag es, wenn die Dinge tiefgreifend sind.“ Der Ex-Kellermeister, dessen Familie seit sieben Generation Winzer in der Champagne ist und deutsche Wurzeln hat, wurde als drittgeborener Sohn Arzt, übte den Beruf aber nie aus, sondern ging bei der Moët-Filiale im Napa Valley in die Weinlehre. Dass er nun nicht „den Ruhestand in Frankreich beim Golfspiel oder auf Ibiza in der Sonne verbringt“, begründet er so: „Ich habe immer noch das Gefühl, einiges zu sagen, einiges zu geben zu haben.“ Vor allem zur „Schönheit der Harmonie, die mich mein Leben lang beschäftigte“. Nicht immer mit dem wünschenswerten Erfolg: In seinen letzten Jahren bei Moët wollte er auch den Premium-Gästen, die der Konzern auf sein Champagne-Château Saran einlud, die Harmonie von Dom Pérignon und asiatischer Küche nahebringen – und ließ die französischen Traditionsköche des Hauses den Fernen Osten nachempfinden…
Foto: Shiraiwa K. K.