Ihre bloße Erwähnung löst bei vielen Menschen bestenfalls Gleichgültigkeit, schlimmstenfalls frontalste Ablehnung aus: Innereien. Derzeit, da Pflanzenkost à la mode mit erfrischendem Elan oder in veganer Konfektion auf die Tische kommt, sind sie besonders in Bistros beliebt, allen voran das Kalbsbries. In der Spitzengastronomie wagen sich Köche, die ihr Handwerk perfekt beherrschen, seit Beginn der Wildhasensaison im November wieder an ein emblematisches Gericht des französischen kulinarischen Erbes: den Lièvre à la royale.
Erfunden am Ende der Amtszeit Ludwig XIV., als in seinem glanzvollen Leben die Kiefer und Zähne des Sonnenkönigs abdankten und die Hofköche edle Gerichte ersannen, die er nicht mehr kauen musste – da schlug der Hase richtige Haken: langsames Kochen, Sauce de luxe und grandiose Präsentation. Heute kommt noch einer hinzu: In Krisenzeiten wirkt solch ein Denkmal beruhigend. Und so steht er jetzt im Épicure an der Rue du Faubourg Saint-Honoré in Paris ebenso auf der Karte wie in der Schwarzwaldstube an der Tonbachstraße in Baiersbronn.
„Lièvre à la royale ist das vollständigste und technischste Gericht für einen Koch,“ proklamiert Épicure-Küchenchef Éric Fréchon, 59. „Ich brauchte all meine Erfahrungen, die des Taillevent, des Tour d‘Argent, dem Crillon, Bristol und viele Verkostungen mit Kollegen, um meine Version zu perfektionieren. Es ist ganz einfach, ich habe dreißig Jahre gebraucht! Kein Gericht in meiner Karriere hat so viel Aufwand erfordert.“ Torsten Michel, 45, fasst sich kürzer: „Wildhase ist diffizil zuzubereiten, er verträgt nicht viel Hitze, man muss sehr konzentriert arbeiten.“ Zumal, wenn man Entenleber und schwarzen Trüffel, zartbittere Rosenkohlblätter, gebratenen Steinpilz und Maronenpüree sowie die mit Blut gebundene Rouennaiser Sauce mit Preiselbeeren hinzugibt. Leber und Trüffel appliziert auch der Pariser Dreisterne-Kollege, unterscheidet sich aber durch Topinambur-Ravioli, Knollensellerie und Kastanien mit Meerrettich. Manche der Gäste, die an der Seine 145, am Tonbach 96 € zahlen, können sich noch einen Unterschied schmecken lassen: Bei Fréchon werden sie als Franzosen bedient oder als Touristen abgefertigt, bei Michel geht’s allen gleich gut, also sehr gut.
In beiden Lokalen könnte man Gourmets erleben, die das Gericht mit dem Löffel essen. Das wäre klassisch, denn aufgrund des langen Schmorens, so postulierte nach altvorderen Köchen auch Paul Bocuse, „ist es unnötig zu sagen, dass die Verwendung eines Messers ein Sakrileg wäre, um diesen Hasen zu servieren, und ein Löffel ist mehr als genug“ – ganz wie die Köche des Sonnenkönigs meinten. Bocuse schlug sich wie der ebenfalls prägende Joël Robuchon im französischen Disput um die historisch wahre Königshasenrezeptur auf die Seite des linken Senators und rechten Gourmets Aristide Couteau. Der hatte 1898 in der Pariser Zeitung Le Temps sein Hasenrezept veröffentlicht: Zubereitung als Eintopf, geschmort mit Knoblauch und Schalotten, dann zerkleinert in einer Rotweinsauce, die mit Blut gebunden ist. Die andere Fraktion beruft sich auf Küchengötter wie Marie-Antoine Carême und Auguste Escoffier: Der entbeinte Hase wird mit Gänseleber, Trüffelstückchen, seinen Innereien und Blut (à la périgourdine) gefüllt, in Wein geschmort und mit einer Wild-Demi-Glace (Sauce) serviert. Im Streit zwischen denen, die es Trüffel und Gänseleber oder Knoblauch und Schalotten regnen ließen, entschied die Schriftstellerin Colette, die am Ende ihres Lebens im Pariser Grand Véfour à la Noblesse oblige dinierte: „Ein Hase à la royale schmeckt nicht nach Knoblauch.“
Foto: Schwarzwaldstube