Was immer man in der Küche anrichtet, es wirkt garantiert attraktiv, gesund und absolut trendy, wenn man es in einer Schüssel, Schale oder, besser noch, Bowl auftischt. Das Statussymbol des heutigen Geschirrschranks adelt jedes häusliche Gericht. In der Gastronomie zahlen sich Power oder Poke Bowl, Acai oder Buddha Bowl aus: Der Eintopf des modernen Lifestyles wird in jedem Fast Food-Konzept zum florierenden Geschäft und in der Spitzenküche zur lohnenden Arbeitserleichterung. Und die instagramabelste Art des Anrichtens macht jeden Esser zum besseren Menschen, denn er zeigt laut FAZ seinen „Followern: Schaut her, ich genieße und achte dabei noch auf meine Gesundheit“.
Die Schüssel, aus der der Mensch jahrtausendelang aß und deswegen in der Neuzeit als armer Schlucker und unzivilisierter Tischgenosse galt, wandelte sich vom Symbol jener Klassen, denen es ums pure Sattwerden ging, zur Ikone einer Gesellschaft, die schlank sein will – und die durch geschichtetes Getreide und Gemüse, weniger bis gar kein Fleisch und die Erhebung von rein kommerziellen Superfoods zum clean eating das Essen zum politischen Statement macht und dabei an Nachhaltigkeit, Rettung des Planeten und Fair Trade glaubt.
Vor 100 Jahren mäkelte die aufkommende Ernährungswissenschaft – besonders in den USA – am ungesunden Zusammenrühren billiger Kohlehydrate und erreichbarer Proteine in den Schüsseln der Arbeiterklasse herum und machte es die aufstrebende Mittelklasse den Wohlhabenden nach, eine sinnvolle Speisefolge von appetitlich angerichteten Tellern zu essen. Im letzten Jahrzehnt schwappte aus den USA die neue Begeisterungswelle für die Bowl nach Europa, voller Schaumkronen des health food. 2015 kamen Bowls mit nährstoffreichen Zutaten, innovativem Dressing, Samen, Sprossen und Nüssen auf deutsche Speisekarten – als gesund und leicht angepriesen, gut für die Bikinifigur und das Aktivsein. 2017 animierte die Poke Bowl in Frankreich zur Gründung von Pokawa in einer kleinen Pariser Vorortküche, das mittlerweile 77 Franchise-Lokale hat und Le Monde resignieren ließ: „Wir können die Anzahl der Marken nicht mehr zählen, die durch die Duplizierung des Konzepts in den mittleren und großen Städten Frankreichs eröffnen.“ Das ist in Deutschland nicht anders und auf Instagram zeigt #bowl mehr als 4 Mio. Fotos und Videos. Dieser schwindelerregende Erfolg vom häuslichen Küchentisch bis in die sozialen Netzwerke, vom Supermarktregal bis zu den neuesten Trendrestaurants resultiert aus mehreren Gründen:
Psychologisch hat das Essen aus einer Schüssel suggestive Kraft, die Charles Spence, Professor für experimentelle Psychologie in Oxford, so erklärt: „Beim Anblick und Berühren einer Schüssel sendet das Gehirn eher das Signal eines herzhaften und beruhigenden Gerichts zurück. Zu gleichen Teilen lässt das Gewicht, das man in der Hand spürt, die Menge der Speisen größer und gehaltvoller erscheinen, als wenn sie auf einem Teller serviert worden wären und ebenso werden die Aromen und Geschmäcker intensiver empfunden… Es gibt Forschungsergebnisse, dass die Welt wie ein besserer Ort aussieht, wenn Sie etwas Warmes in Ihrer Hand spüren.“ Hinzukommt, dass ein Teller und das Essen mit Messer und Gabel als starre Formalität, die Schüssel hingegen als zugewandt und komfortabel empfunden wird. Und Ernährungspsychologen wissen: Wer bei Tische einem Trend folgt, sucht weniger nach Individualisierung, sondern vor allem nach Sicherheit, dem richtigen Lebensstil zuzugehören.
Problemlos ist fast alles aus Schüsseln zu essen, früher Nudeln, Reis, Suppen, Salate, heute lässt sich auf einer Basisschicht aus Vollkorn oder Gemüse gerösteter Kürbis, gegrilltes Hähnchen oder gewürzter Tofu drapieren, mit Kräutern bestreuen und Dressings binden. Und zum Frühstück peppen Açai, Chiasamen, Goji-Beeren und Hanfnüsse selbst Haferflocken und Haferbrei auf. Und sei ein Gericht noch so profan wie Tim Mälzers Backhähnchen mit Kartoffelsalat, er kann es als Bowl anbieten – bis er merkt, dass seine Klientel mit dem Wort „Schüssel“ besser klarkommt.
Gastronomisch ist die Bowl die logische Fortsetzung des bequemen Kochens. Einen Teller anzurichten macht mehr Mühe, als eine Schale zu beschichten und oben bunt und wertig aussehen zu lassen. Selbst Kanapees, Snacks und Häppchen bereiten größere Probleme, denn mehrere Schichten auf einer trockenen Basis anzurichten und nicht auseinanderfallen zu lassen, erfordert höheren Arbeitsaufwand als jedes Schüsselwerk. Das satte Personalkosten ersparende Bowl-Food bietet den Gästen immerhin die Freude, keine Tischordnung für den Tellerservice ertragen zu müssen, sondern sich frei bewegen zu können. Zwar lässt sich mit Löffel oder Gabel genussvoller durch eine Aromenkombination in der Schüssel fahren als über den Teller. Aber ansonsten wird bei Bowls „viel von dem verpasst, was Genießen nun mal ausmacht“ wie die NZZ bedauert und spottend hinzufügt: „Kein Wunder, dass kaum jemand der modernen Konsumenten daran denkt, zur Bowl Wein zu bestellen. Lieber Grüntee mit Ingwer oder Reismilch mit Matcha. Hauptsache, etwas angeblich Gesundes zum Eintopf der 2020er Jahre. Danach allenfalls noch die Eis-Bowl, eine der neuesten Erfindungen. Das Rezept? Man nehme ein paar Kugeln Eis, verstreiche sie in einer Schüssel, dekoriere sie mit Obst, süßen Saucen oder Smarties und verkaufe alles zum doppelten Preis einer normalen Eiswaffel.“
Foto: veganheaven.de/