Denkt sie ans Tantris und den Abschied von Hans Haas am Jahresende 2020, trägt Münchens Gourmetgemeinde tiefe Trauer. Denn mit Haas geht die Hochbegabung, das vermeintlich Einfache zu etwas ganz Besonderem zu machen und gern Gemochtes in die Große Küche zu erheben. Für die künftige kulinarische Leitung des Hauses holten die jungen Eichbauers nicht – wie die ehrwürdigen – einen Koch vom Format Witzigmann, Winkler oder Haas, sondern einen Executive Chef: Matthias Hahn, 43, der nach dem PR-Text des Hauses „eine lange Karriere in der internationalen Spitzengastronomie hinter sich hat“. Die Lokaljournalisten beteten das nach und trugen noch Missverstandenes bei: Er war „in gleicher Position für die Restaurants von Alain Ducasse in Frankreich und auch für dessen Unternehmen in der ganzen Welt tätig“.
Die Etappen auf seinem Berufsweg: 1999 nach Abbruch des Physikstudiums die Kochlehre im Freiburger Hotel Colombi, anschließend in den Dreisternerestaurants Le Buerehiesel in Straßburg und Le Jardin des Sens in Montpellier. Mit diesem Rüstzeug beginnt er 2004 als dritter Commis bei Alain Ducasse im Le Louis XV in Monte Carlo, bringt es in zwei Jahren zum ersten Commis und wechselt nach Paris in das damalige Ducasse-Lokal Le Jules Verne auf der zweiten Etage des Eiffelturms. Dort wird er in der strengen französischen Küchenhierarchie einer der drei „ersten Sous-chefs“. Aus dieser Touristenattraktion holt ihn Ducasse als Corporate Chef. Der ist laut Tantris-PR-Verbrämung für „die kulinarische Konzeption neuer Restaurants sowie für das Management der Betriebe der Ducasse-Gruppe weltweit verantwortlich“.
Der etwas prosaischere Alltag: Ist beispielsweise ein Ducasse-Restaurant wie das Blue in Bangkok geplant, konzipiert man dessen Küche und Karte aus seinem Fundus in Paris mit einem Hauch Fernost, bringt die Gerichte zur Tellerreife, sucht eine Brigade für das Lokal, fuchst die ein, eröffnet das Lokal und überwacht es noch ein paar Wochen. Auf der Karte stehen dann asiatisch geschminkt u.a. Krabbenfleisch in Chiliwürze; Ravioli mit Ochsenwange, Entenleber und schwarzem Knoblauch; australisches Beef mit Pfeffersauce und Kartoffelchips; Schokoladentarte und Rumsavarin…
Diese Art vor allem sehenswerter Küche entspricht in etwa dem (ungeschriebenen Ducasse-) Anforderungsprofil für den Job eines Corporate Chef: ein handwerklicher Könner ohne kreative oder sonstige Höhenflüge, firm in den gängigen Küchenstilen, auf dem Niveau eines Sterns – gewiss ehrenwerte Fähigkeit, aber von den Küchenchefs seiner Flagship-Restaurants verlangt Ducasse schmeckbar mehr. Dass Hahn seine seit Ende letzten Jahres gebotenen Bangkok-Bemühungen auf das Tantris überträgt, sei dessen Gästen nicht gewünscht. Sein Vorgänger, Frédéric Vardon, brachte es als Selbstständiger im Restaurant LE 39V in Paris auf einen Stern (2012 bis 2018) und 15 Punkte.
Was wird unter Hahn aus dem Tantris? Bislang ließen die jungen Eichbauers nur durchblicken, dass zwei von außen kommende junge Küchenchefs separat für das künftig in Gourmet und Brasserie portionierte Monument kochen. Konkreter verkündeten sie, Hahn wird neben der kulinarischen Leitung „neue Geschäftsfelder entwickeln, um das Restaurant für die Zukunft neu auszurichten“. Darf Hahn also einen Filialbetrieb beginnen? Zunächst mal ist die Wiege des dort 1971 geborenen deutschen Küchenwunders ab Januar 2021 wegen Renovierung monatelang geschlossen.
PS: Was immer Hahn ins Tantris zieht, sein Adieu in Paris könnte auch Zukunftsangst signalisieren. Denn Arbeitgeber Ducasse werden finanzielle Sorgen nachgesagt. Redet man in Frankreich über wirtschaftlich erfolgreiche Köche, fallen Namen wie Bernard Pacaud, Guy Savoy, Alain Passard, Michel und Sébastien Bras… Von Ducasse, der mal den größten Kollegenneid auf sich zog, als er überall nur Berater war und dabei (vor Euro-Zeiten) fast siebenstellig im Monat verdiente, ist schon seit Jahren nicht mehr die Rede. Denn er begann gleichsam sein Geld zu verjubeln, als er meinte, er müsse wie die bekanntesten Kollegen eigene Restaurants betreiben und dabei Kostenfaktoren wie einen Art Director für den Küchenchef billigend in Kauf nahm. Mittlerweile ist er von einer in Brüssel residierenden Holding abhängig, in der ihn vornehmlich Aktionäre aus Mittelost aushalten. Als ein immer deutlicher werdendes Handicap seiner Geschäftigkeit sagt die Pariser Szene dem mittlerweile 63-jährigen nach, er weigere sich partout zu altern, was ja nur selten entspannend wirkt, und sei immer noch fest überzeugt, die Maßstäbe der modernen Küche zu setzen.
(Foto: Tantris)