An Wundern des Fortschritts nehmen sich Traditionalisten wie die Anbeter von alten Holzfässern in Schottland, Cognac oder der Karibik nicht das mindeste Beispiel – es tangiert sie nicht, dass Computer und Telefon zum Handy wurden, das Schachprogramm Deep Blue den Weltmeister Kasparow schlug oder die Digitalisierung der Musik jedem die große Oper bietet. Die etablierten Brenner ruhen sanft auf dem Prestige ihrer Jahre bis Jahrzehnte gereiften Edelspirituosen, zutiefst überzeugt, dass Technologie keine Romantik destillieren kann. Deshalb bemüht sich allein in den USA ein Dutzend Unternehmen, den geldbringenden Alterungsprozess zu beschleunigen oder zu umgehen.
Zu denen zählt auch Bespoken Spirits im kalifornischen Menlo Park, wo der in Erlangen promovierte Materialwissenschaftler Martin Janousek nach Jahren bei Siemens resümiert: „Ich lernte hier im Silicon Valley, extrem prozessgetrieben zu arbeiten. So etwas hatte ich in Europa nie gesehen.“ Als Vicepresident beim Brennstoffzellen-Hersteller Bloom Energy beschloss er mit dessen Marketing- und Produktentwicklungs-Chef Stu Aaron, „die antiquierte Herstellung von Spirituosen völlig zu verändern“. Er entwickelte mit dem ACTIvator eine „Nespresso-Maschine für Whiskey im industriellen Maßstab“ (Aaron). In der 1000-Liter-Stahltrommel kann mittels kleinen Holzstücken und entsprechender Regulierung von Druck, Temperatur und Atmosphäre junger Whisky turbogereift werden. Im Prinzip drückt das Gerät durch schnelles Erhöhen und Verringern des Drucks und der Wärme den Whisky mehrmals täglich in das Holz hinein und aus ihm heraus. Da auch Geschmack und Farbe einstellbar sind, ist der Firmenname „Maßgeschneiderte Spirituosen“ plausibel – und der Whisky nach ein paar Tagen ein paar Jahre alt.
Lost Spirits in Los Angeles nutzt zusätzlich zur Schwankung der Hitze intensives Licht, was die molekulare Struktur des Holzes neu beleben und dadurch die komplexen Aromen ausgereiften Rums bewirken soll. Endless West in San Francisco bildet die analysierten Whisky-Moleküle aus Pflanzen und Hefen nach und infundiert sie in eine Alkoholbasis.
Whisky-Liebhaber können bemängeln, dass ihnen bei den neuen Angeboten die Komplexität der alten Pracht fehlen. Die Produzenten können ökologisch trumpfen. Denn Janouseks Verfahren beispielsweise braucht nur ein Prozent des Stroms und knapp drei Prozent des Holzes – und hat keine 20 Prozent Verdunstung wie bei der traditionellen Alterung.
Die Preise der Veralterungkuren kosten Konsumenten 35 bis 40 $ je Flasche. Doch deren Anbietern scheint es nicht um einen Preiskampf und den Nachweis zu gehen, dass ihre Produkte bei Wettbewerben anerkennende Plaketten gewinnen, sondern um die Zukunft: Wenn Milliarden Chinesen und Inder auf den westlichen Spirituosengeschmack kommen, können die Traditionsmarken gar nicht genug Flaschen mit halbwegs stolzen Altersjahren auf dem Etikett liefern. Das kann sich das alte Establishment auch denken und so führt Edrington in Schottland (u.a. Luxusmarken wie Macallan und Highland Park) in den USA schon mal mit Relativity einen Whisky à la Bespoken-Verfahren.
Foto: Bespoken Spirits