„Lange Zeit haben die Leute in Küche und Service viel gearbeitet und wenig verdient,“ bedauerte Küchenchef Kenneth Foong, 33 und aus Singapur, und rühmte dann die schöne neue Noma-Welt, die sein Patron René Redzepi seit letztem Winter den Mitarbeitern biete: „Es ist nicht mehr in Mode, 16 Stunden zu arbeiten. Das ist nicht mehr cool. Früher war es Mitternacht oder 1 Uhr morgens, nun können wir früher nach Hause zu Kindern, Frauen und Hunden.“ Denn die Gäste kommen zwischen 17 und 18 Uhr und beenden ihr Abendessen zwischen 21.30 und 22 Uhr. Außerdem haben Foongs Kollegen nun an 3 Abenden in der Woche frei und arbeiten nur noch an 4 Tagen jeweils 10 Stunden. Als Grund für die Veränderungen nannte der Küchenchef die Pandemie; sie bot Gelegenheit, „das Modell eines Restaurants im Hinblick auf seine Nachhaltigkeit und die Fragilität der gesamten Branche als Ganzes zu überdenken“.
Es könnte auch anders gewesen sein. Denn sein wortreiches, die Noma-Welt verklärendes Interview erschien vorigen Monat ohne aktuellen Anlass und wirkt wie ein Versuch, einer Art Generalangriff auf die Arbeitsbedingungen in der Kopenhagener Spitzengastronomie entgegenzuwirken. Den hatte letzten Januar Lisa Lind Dunbar noch 15 Sommelière-Jahren in Hauptstadtlokalen ausgelöst. Nach „all dem Schmerz und all dem Trauma durch die Arbeit“ bat sie auf Instagram um Erfahrungsberichte von Leidensgefährt:innen. Das Echo aus den Brigaden von Noma & Co. war deprimierend – erzeugte aber kaum Wirkung. Denn erstens geben sich die Dänen und insbesondere die Kopenhagener als Inkarnation des Gutmenschen und sehen ihre Heimat als Nest der heilen Welt (das man auch hier nicht beschmutzt). Zweitens herrscht laut Kristoffer Granov vom dänischen Kulturmagazin Atlas unter Journalisten „so viel Stolz auf die Kopenhagener Food-Szene, dass es einen Schweigekodex gibt. Die Leute wissen, wie‘s funktioniert, und niemand will darüber reden“. Drittens werden viele High-End-Restaurants in der Stadt von Köchen geführt, die früher im Noma gearbeitet haben und (auch gegen Kritiker) bestens vernetzt sind. Und da gut ein Viertel der ausländischen Touristen vom kulinarischen Kopenhagen angelockt werden, bleibt der Staat passiv, obwohl die Arbeitsumweltbehörde weiß, dass Diskriminierung oder Misshandlung (jedes 5. Mitarbeiters) höher als in jeder anderen Berufsgruppe ist.
Letzte Woche begann das Thema hochzukochen. In der britischen Financial Times unter der Schlagzeile: „Die gehobene Küche wird in Kopenhagen mit ihren dunklen Wahrheiten konfrontiert“, im französischen atabula nicht minder drastisch: „Gourmetrestaurants in Kopenhagen im Zentrum eines Skandals über Arbeitsbedingungen“. Die Londoner Journalistin Imogen West-Knights hatte für ihre lange Leidensgeschichte die Dunbar-Posts ausgewertet und mit 30 Angehörigen und Kennern der Branche gesprochen. Die berichteten beispielsweise, wie das Noma 6 unbezahlte Praktikanten draußen bei eiskaltem Regen stundenlang Entenfedern zupfen ließ, obwohl drinnen eine der Vorbereitungsküchen frei war, oder statt der vereinbarten 37 Wochenstunden 70 abverlangte. Die Empfangschefin eines anderen Lokals schilderte, dass sie nach einem Fahrradunfall mit gebrochenen Rippen weiterarbeiten musste, obwohl der Arzt sie krankgeschrieben hatte, ein junger Koch beklagte, dass ihm sein Chef als Strafe heißen Kaffeesatz auf die Hand drückte und er nicht zum Arzt durfte. Fazit der Britin: „Was ich in der ganzen Stadt hörte, war keine Geschichte von ein paar faulen Äpfeln, sondern von einem verfaulten Obstgarten“ – Sexismus, Rassismus, Homophobie, Mobbing, kriminelle Arbeitsbedingungen. Auf Rückfragen bei den Beschuldigten erhielt die Autorin keine Antwort oder, wie vom Noma, Dementis. Das Noma teilte dazu aber noch etwas mit, das Foong in seinem Interview nicht erwähnte: Es werde seine Praktikanten – früher 30 (bei etwa gleich viel bezahlten Köchen), derzeit 15 bis 20 – ab 2023 bezahlen.
Foto: Noma