Das nach Fish’n’chips, Sandwich und Roast Beef Bekannteste, was England anrichtet, ist seit 2002 seine alljährliche Rangliste World‘s 50 Best Restaurants. Letzten Montag kamen in London aufs Siegertreppchen: das Geranium in Kopenhagen vor dem Central in Lima und dem Disfrutar in Barcelona. Aus Deutschland schafften es auf die Liste, die in britischem Humor in 2 Teilen zu unterschiedlichen Terminen veröffentlicht wird (zuerst die Plätze 51 bis 100, dann 1 bis 50), 4 Restaurants: die Berliner Nobelhart&Schmutzig auf Rang 17, Tim Raue 26, Ernst 62 sowie das Münchner Tantris 98. René Frank vom ungelisteten Berliner Coda wurde zum bester Pâtissier der Welt erhoben. Hier ein paar Reaktionen auf die 2022er Rangliste und den Event.
Le Monde:
50 Best wird von 1.080 „unabhängigen Experten“ (Köche, Journalisten, Restaurantbesitzer, Foodies etc.) erstellt, die unter der Ägide des Restaurant Magazine der britischen Pressegruppe William Reed ihre Erfahrungen der vergangenen 18 Monate festhalten. In 27 Regionen der Welt können jeweils 40 Wähler für 10 Restaurants stimmen, davon mindestens 3 außerhalb ihrer Region. Die Legitimität dieses von mehreren Firmen gesponserten Rankings wird regelmäßig bestritten, insbesondere von französischen Köchen, die ihm Selbstgefälligkeit und Undurchsichtigkeit vorwerfen. Als Reaktion darauf starteten seine Kritiker – Franzosen, aber auch Japaner und Amerikaner – 2015 La Liste, ein Ranking von 1.000 Restaurants auf der ganzen Welt.
Der Spiegel:
Rangliste für Feinschmecker: Wo Gourmets demnächst Schlange stehen. Ein neues Ranking listet die 50 besten Restaurants des Jahres auf. Demnach isst man nirgendwo besser als in Kopenhagen. Und in Deutschland sollten Gourmets nach Berlin reisen.
Jürgen Dollase in eat-drink-think:
Die neue Liste der 50 Best ist da. Man muss sie nicht ernst nehmen, man kann sie nur ernst nehmen, wenn man eine stark selektive Wahrnehmung hat, aber man kann sie immer und jederzeit als Anregung für Diskussionen nutzen, die ohne ihre stark polarisierenden Momente vielleicht nicht so regelmäßig stattfinden würden. Die Organisatoren haben es jedenfalls geschafft, ein System zu etablieren, das geradewegs in die Bedeutungslosigkeit führt. Es wird zum Beispiel nicht mehr möglich sein, Irgendjemandem zu vermitteln, warum die in der Liste vorkommenden deutschen Restaurants besser als alle deutschen Drei Sterne-Restaurants sind, die ja sogar in den Top 100 nicht vertreten sind. Es ist schon eher zu vermitteln, dass es einen Zusammenhang zwischen Platzierung und Promotion gibt, wie sich „Kult“ (was immer man darunter versteht) entfaltet und Wirkung erzeugt und das Gegenteil von „Kult“ eben keine Wirkung in dieser Art von Rankings hat. Man ahnt, dass sehr viele Profis der weltweiten Gastronomie angesichts dieses wirren Konglomerats abwinken, und dass sie dies mittlerweile ganz ohne Fatalismus, sondern eher mit einem Ausdruck von „Was soll der ganze Quatsch“ tun. Wie gesagt: „The 50 Rest“ schaffen sich gerade selber ab…
Das Interessanteste an der Liste ist die Dokumentation einer weltweit verbreiteten Stilistik, die mit der klassisch-französischen Küche und ihren Varianten eher wenig zu tun hat. Ich persönlich könnte jetzt darauf hinweisen, dass meine schon vor vielen Jahren gemachte Prophezeiungen in Richtung der Zukunft für die Nova Regio – Küche (also der Verbindung von einer neuen Sicht auf regionale und traditionelle Ressourcen und Avantgarde) sich erfüllt haben. Der allergrößte Teil der Restaurants fällt mehr oder weniger in diese Kategorie. Aber – das ist eben immer nur ein Teil der Kochkunst, und ein Ranking, dass nur einen Teil wiedergibt, lässt darauf schließen, dass die Juroren die ganze Sache irgendwie nicht richtig verstanden haben. Fest steht, dass sich die oft minimalistische Struktur der Gerichte mit Menüs, die vorwiegend aus kleinen Gerichten mit klaren, modernen bis avantgardistischen Ideen und/oder Interpretationen bestehen, bei uns eher selten findet.
Der Weg zur Verbindung all dessen, was Kochkunst gut und interessant macht, existiert bei uns noch nicht im notwendigen Ausmaß. Er wäre der Schlüssel für ein Renommee, das sowohl auf klassischen Qualitäten wie auf einer regional-kulturellen Identität und damit Originalität beruht. Es ist der Weg zu einer unverwechselbar regional-traditionell fundierten Küche, für die unsere Geschichte alles hergibt, was man für eine gute Küche braucht. Ich weise seit vielen Jahren darauf hin. Natürlich gab und gibt es Versuche in dieser Richtung – auch in Drei Sterne-Restaurants. Aber – es mangelt ihnen oft an „Stamina“, an einer so radikalen Überzeugungskraft, dass nicht nur die alte Kundschaft begeistert ist, sondern auch eine ganz neue erschlossen wird. Die übervorsichtige, „weichgespülte“ Integration traditioneller Aromen und Geschmacksbilder in unseren besten Küchen hat noch nie wirklich etwas gebracht. Das muss spektakulärer, wenn man so will auch „poppiger“ sein – ohne auch nur einen Hauch an den allerbesten Qualitäten der Kochkunst zu verlieren.
Mit einem solchen Ziel und guten Realisierungen wird man auf der kulinarischen Weltkarte seinen Platz finden. Nicht als Kopisten, nicht als hochtalentierte Lehrlinge, nicht als Leute, die irgendwie vom Funktionieren und Wirken der Kochkunst nicht alles verstanden haben.
Food & Sens, der französische Blog „dans l’univers des chefs“, entsandte 2 Reporterinnen nach London, die u.a. berichteten, dass
• Küchenchef Rasmus Kofoed vom siegreichen Restaurant Geranium sagte: „Das Menü spiegelt wider, was ich bin, wer ich bin und wie ich mich als Koch und als Mensch entwickle. Ich esse seit fünf Jahren zu Hause kein Fleisch mehr, daher war es eine logische Entscheidung und eine natürliche Weiterentwicklung fürs Geranium, im neuen Menü kein Fleisch mehr zu verwenden“;
• „Massimo Bottura einer der wichtigsten Teilnehmer der Zeremonie ist und jedes Mal irgendwie das Gleiche erzählt … aber so ist es bei vielen Köchen, den Produkten, den Teams, der Ökologie“;
• Alex Lee, American Express-Vizepräsident, dem französischen Dreisternekoch Alexandre Mazzia, 46, den One to Watch-Award verlieh und deklamierte: „Mazzia und sein Team verkörpern den Mut, die Kreativität und das Genie derjenigen, die in der Welt der Gastronomie tätig sind. American Express ist stolz darauf, diese internationale Gemeinschaft zu unterstützen und sich für die nächste Generation von Talenten einzusetzen, die die gastronomische Erkundung fördern.“
• Alexandre Mazzia glücklich zu sein scheint, hier zu sein, auch wenn er sagt, dass Auszeichnungen gut sind, aber nicht das Wichtigste, und dass man nicht genau weiß, was dieser American Express-Preis ist, der aber auf jeden Fall seine Existenzberechtigung hat;
• noch nie ein Restaurant außerhalb Europas oder Nordamerikas und noch nie eine Köchin den 1. Preis von World‘s 50 Best gewonnen hat, bisher kamen alle Gewinner aus Spanien, den USA, Großbritannien, Dänemark, Italien und Frankreich;
• der nicht unter die 100 Besten gekommene oder sonst wie geehrte Albert Adrià („ich bin eine der Personen, die am häufigsten zu den 50-Best-Zeremonien gekommen ist“) kommentierte: „Was die ersten fünf in der Rangliste angeht, so sind das auf diesem Niveau die fünf besten. Sicherlich sind nicht alle Guides fair; aber normalerweise gewinnen immer die Besten.“
PS: In einem weiteren Food&Sens-Beitrag feiert die Journalistin Lorena Lombardi Italien als „großen Gewinner“ des diesjährigen 50best-Rankings mit 6 Restaurants in der Hitparade, davon 5 in den Top 20, und schreibt dann: „Zugegeben, dieses Ranking wird nie ein ganz reales Bild einer Galaxie der besten Restaurants der Welt vermitteln können, aber es spürt Trends auf. Restaurants in den Hauptstädten werden zweifellos besser eingestuft, ebenso wie diejenigen in Ländern, deren Regierungen mehr in den gastronomischen Bereich investieren. Die Restaurants, die das größte Budget haben, um die Presse und die Influencer einzuladen, und die sich über Agenturen und Medien auch im Ausland bekannt machen können, sind zwangsläufig sehr im Vorteil. Irgendwann wird ‚Sensationslust‘ fast wichtiger als alles andere, insbesondere der Geschmack … Dieses Ranking, von dem so viel geredet wird und das die dort auftretenden Restaurants glücklich macht, lässt uns auch vieles über die heutige Gastronomie verstehen, in der oft der ‚Schein‘ über das ‚Sein‘ siegt.“
Foto: The World‘s 50 Best Restaurants