Von unbezahlten Rechnungen bis zur erloschenen Kommunikation perlte die atabula-Beweiskette für den Hinschied des Restaurantguides in Frankreich. Anteilnehmend bedauerte man ihn: „Triste à mourir.“ Aus der rue du Faubourg St Martin kam kein Dementi vom Gault&Millau. Das muss nicht heißen, dass es nichts zu dementieren gab. Es kann auch daher rühren, dass sich in Paris die Journalisten in der Gastroszene untereinander nicht so ernst nehmen. (Sie können seit heute über einen neuen CEO beim Guide berichten: Jacques Bally, der mal mit den Ducasse-Kochschulen zu tun hatte, wurde durch Zakari Benkhadra ersetzt, der mal mit den Ducasse-Kochbüchern zu tun hatte.)
Zur gleichen Zeit, in der ersten Septemberwoche, schickte der bei Burda Studios Pictures GmbH in München angesiedelte Gault&Millau Deutschland eine Rundmail an Restaurants und bat sie, für den Guide 2021 „unter folgendem Link Ihre Angaben (Öffnungszeiten, Preise, Adressdetails, Ansprechpartner etc.) zu überprüfen bzw. zu vervollständigen“. Das entspricht gewohntem Procedere des Guides.
Erstaunlich ist hingegen dieser Passus im Anschreiben: „Beschrieben und bewertet werden künftig die 500 besten Restaurants Deutschlands.“ Das ist fachlich eine Halbierung des Guides, denn die letzten 33 Jahre testete, beschrieb und bewerte er 1000. Um den Schrumpfungsprozess zu kaschieren, „empfiehlt“ man „weitere 500 Adressen quer durchs Land ohne sie zu bepunkten“.
Trotzdem wiederholt Burda auch in dieser Mail gebetsmühlenartig, dass der „Gault&Millau künftig deutlich journalistischer wird“ und „als kritischer, kompetenter und völlig unabhängiger Lotse durch die Qualitätsgastronomie in Deutschland“ führt. Diese Absichtserklärung dürfte jeder, der das Haus Burda kennt, für eine Fata Morgana halten.
Um sein Wunder zu vollbringen, bereichert Burda den Fragebogen an die Gastronomie um zwei neue Rubriken. Darin werden die Häuser aufgefordert, Angaben zu ihrem Küchenstil und zur Restaurant-Atmosphäre zu machen. Solche Erhebungen macht kein seriöser Restaurantführer, denn dem liefern sie die Tester. Burda erweckt damit den Eindruck, dass es Restaurants entweder gar nicht testet oder dass es nicht allen seinen Testern traut. Beides hat was von Armutszeugnis.
Bevor oder nachdem sie die Stichworte für ihre Küche und ihr Ambiente eintippen, dürfen sich die Köche und Gastronomen entscheiden, ob sie eines der beiden mit dem Fragebogen geschickten Promotionsangebote wahrnehmen wollen. Das silberne kostet 85 €, das goldene 390 zzgl. MwSt. Beide bieten Urkunde, Aufkleber und Logo, beim teureren gibt’s noch den Abdruck eines Fotos im Guide sowie drei Exemplare statt einem. Wer nach Erscheinen mit dem Logo und der Bewertung des Gault&Millau auf sein Haus aufmerksam machen möchte, muss eines der beiden Pakete buchen. Das ist eine schwierige Entscheidung, denn der „völlig unabhängige“ Burda-Guide lässt ja kein Lokal vorher wissen, ob es zu den 500 werbewirksam bewerteten oder bloß zu den 500 lapidar erwähnten gehören wird. Selbst wenn alle Gastronomen die erbeten Stichwörter pünktlich bis 20. September liefern, wird die Zeit für den Burda-Journalismus verdammt knapp, daraus bis zum Bucherscheinungstermin im November geschliffene Texte zu formulieren. Denn die bloße Übernahme von Stichwörtern lässt sich kaum zur kompetenten Restaurantkritik erheben. Doch dieses Jahr müsste Burda keine Unzulänglichkeit eingestehen, sondern könnte alles Unangenehme auf Corona schieben – und auch in München das Selbstbewusstsein seines Offenburger Stammsitzes ausstrahlen: Dort ist Burda first in food.