Wie schafft man es als Koch in Kiew bis in die New York Times, Washington Post, Hindia News in Neu-Delhi und Virtual Corporate Services Africa? Gewiss nicht durch gegrillte Forelle auf Sellerie-Minze-Mus, Tournedos mit Sprottentatar oder Schlehenmarmelade zum Ziegenkäsesoufflé, die Jewgeni Klopotenko, 33, für sein Restaurant mit dem skurrilen Namen „100 Jahre zurück in die Zukunft“ zubereitet. Also begann er sich öffentlich darüber zu ärgern, dass die in ganz Osteuropa (plus Litauen und Rumänien) verbreitete Kohlsuppe Borschtsch in Westeuropa und Amerika durchweg als russisches Gericht gilt und letztes Jahr vom Außenministerium des Erzfeindes in Moskau als eines seiner „berühmtesten und beliebtesten Gerichte“ vereinnahmt wurde.
Klopotenko empörte sich (in Anspielung auf Putins Krim-Aggression 2014): „Viele Dinge wurden der Ukraine weggenommen, aber unseren Borschtsch werden sie nicht bekommen. Wir müssen verteidigen, was uns gehört.“ Er gründete eine Initiative, die monatelang Beweise für den ukrainischen Ursprung der Suppe sammelte, und organisierte landesweit Festivals für Borschtsch, der langsam in unterschiedlichen Garzeiten aus den fünf Grundzutaten Kartoffeln, Weißkohl, Zwiebeln, Karotten und Rote Bete gekocht, vielfach variiert (Paprika, Tomaten, Knoblauch, Fleisch) und meist mit einem Schlag Sauerrahm gekrönt wird. Das Beweismaterial reichte von 300 Jahre alten ersten Rezepten bis zum 1939 erschienenen sowjetischen „Buch der leckeren und gesunden Lebensmittel“, das ausdrücklich den „ukrainischen Borschtsch“ rezeptiert.
Diese Sammlung erhielt letzten Monat das Kulturministerium in Kiew, das wunschgemäß den Eintopf als Teil des „immateriellen Kulturerbes“ der Ukraine erkannte und dazu die parlamentarische Zustimmung einholte. Nächsten März will die Regierung bei der Unesco beantragen, Borschtscht – genauso wie zuvor die kulinarische Welt Frankreichs, Koreas Kimchi oder die neapolitanische Kunst des Pizzabackens – in die Liste des „Immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ aufzunehmen. Bevor Suppenkasper und Gourmets etwas einwenden: Für die Aufnahme maßgeblich ist der Nachweis, dass Borschtsch eng mit Hochzeits- und Bestattungstraditionen verbunden ist und somit zur Kultur der Ukraine gehört.
Dagegen droht aus Russland, wo meist Sauerkraut statt frischem Kohl in den zur Zarenzeit beim Militär und später in Werkskantinen als preisgünstige Verpflegung ausgeteilten Volkseintopf kommt, zumindest kein unpolitischer Widerspruch. Boris Akimow, Pionier der russischen Farm-to-Table-Köche: „Ich hoffe, dass Borschtsch eine Sache sein kann, die Länder verbindet, aber nicht teilt.“ Und Dr. Viktor Belyaev, Kreml-Koch von 1978 bis 2008 (Breschnew bis Putin) und seitdem Präsident der Russischen kulinarischen Vereinigung, bekannte freimütig: „Ich träume von diesem Borschtsch. Er ist solch ein Schmaus, besonders wenn Sie vorher ein paar Drinks hatten.“ Zur nationalen Zuordnung sagten sie aber beide nichts.
Jewgeni Klopotenko hat in seiner Küche der zukunftsweisend interpretierten Traditionsgerichte auch Borschtsch auf der Karte, in der kleinen Rubrik für Ausländer – „verfeinert“ mit Pflaumenmarmelade und Räucheraroma…
Foto: @Klopotenko