Im 2001 erschienenen Taschenbuch „Der Würstelstand als Wille und Vorstellung“ berichten Wiener Schriftseller wie H. C. Artmann, Daniel Glattauer und Wolf Haas lediglich über Heißhunger und (Zwischen-)Menschliches. In einer Neuauflage wäre seit Eröffnung von AllesWurscht im letzten Winter auch anspruchsvolles Essen ein Thema. Denn Sebastian Neuschler, 38, durchdachte im Urteil der Gastrokritik „ein Kulturgut“ (Die Presse) und bietet nun in seiner „Neuinterpretation des klassischen Wiener Würstelstands“ (Kurier) „Würste wie sie die Stadt noch nicht gesehen hat“ (Der Standard).
Denn sein Klassiker Käsekrainer vom Ochsen hat nichts mit fettigen Supermarktwürsten gemein und ist auch mit Kimchi und Chipotle-Mayo zu haben und die für Wien typische Burenwurst (grob und kräftig gewürzt), die Waldviertler (über Buchenholz geräuchert), Debreziner (rötlich durch geräucherten Pfeffer), Bosna (gewürzte Bratwurst, mit Curry und Zwiebeln in einer hellen Semmel serviert) und die Currywurst (aus Kalb, mit fermentiertem Curry-Ketchup und Habanerosauce gereicht) genügen jenen Qualitätsansprüchen, die der gebürtige Salzburger zuvor an den Herden von besseren Wiener Lokalen hatte. Folglich bezieht er die Würste von der Kult-Metzgerei Baischer in Lochen am See (bei Salzburg) sowie Brot, Semmeln und Butterbrioche vom Öfferl, Wiens bestem Bio-Bäcker. Dazu trinkt man frischgezapftes Bier und hausgemachte Limonaden aus dem Glas, Champagner von Perrier-Jouët und Wein von Bründlmayer. Der schon phonetisch große Unterschied zwischen deutscher Wurstbude und Wiener Würstelstand klingt auch bei handgeschnittenem Tatar und à la minute zubereiteten Calarmari fritti mit Jalapeño-Mayo an – und geht mit der Mode bei der veganen Bratwurst auf Pilzbasis mit Misoweckerl.
Neuschler empfindet seinen Wechsel aus der Restaurantküche in den 14-m²-Imbiss als Aufstieg: „In der gehobenen Gastronomie bringen dich die Personalkosten und der Wareneinsatz um. Du bist 14 Stunden am Tag auf den Beinen, bekommst zwar dafür deine zehn Sekunden Ruhm, aber das macht sich am Konto nicht bemerkbar.“ Und: „Dort wird nach den Kunden gebuckelt. Hier begegnen wir einander auf Augenhöhe, egal wer vor dem Stand auftaucht.“
Auf gleichem Niveau, optisch wie qualitativ, lassen sich an Wiener Ständen auch die sprichwörtlichen Edelprodukte essen. Bei Tanis am Kutschkermarkt, dessen Türken sich als Weltmeister Kebap anpreisen, gibt’s auch Wagyu aus Japan und dem Mostviertel sowie Txogitxu-Rind aus dem Baskenland, bei denen Qualität wie Garzeit stimmen und sogar eine Sauce improvisiert wird – wer dabei das Restaurant vermisst, findet’s auch nicht auf der Rechnung. 50 m weiter bietet Atlantis, das hier als Stand 4 auftaucht, Meeresfrüchte bis hin zur Languste und bereitet ein Dutzend Edelfischarten vor den Augen der Passanten zu, wahlweise gegrillt mit Olivenöl und Zitrone, als Eintopf mit Tomaten, Zwiebeln und Weißwein, im Ofen gegart mit Kartoffeln und Gemüse oder sogar in der Salzkruste (und dann am Tisch serviert).
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