Den Touristen passen sie ins Bild, den Einheimischen sind sie alltäglicher Anblick, den Köchen bis hin nach Paris ein besonders beliebtes Produkt und den Umweltschützern ein Verstoß gegen das Küstengesetz: die 350 Muttertiere, Hammel und ihre Lämmer des Züchters François Cerbonney (Foto) auf den Salzwiesen an der Bucht des Mont-Saint-Michel, dem Weltwunder im Wattenmeer. Seit 14 Jahren prozessiert Manche Nature, ein regionaler Verein für den Schutz der natürlichen Umwelt, gegen den Züchter, Schäfer, Metzger (und gelernten Koch). Hinter dem Verein mit fast 300 Mitgliedern stehen die Gerichte, hinter dem Beklagten 30.000 Anhänger der Initiative „Verteidigung der Schäferei“, darunter die Bürgermeisterin, der Präsident der Agglomeration Manche, der Abgeordnete der Nationalversammlung und der Senator – und als Sympathisant der Regionalpräsident der Normandie.

Cerbonney, 51, der hier vor 20 Jahren begann, für Liebhaber des Salzwiesenlamms die Rasse „Roussin de la Hague“ zu züchten, musste zunächst aufgrund des 1986 erlassenen französischen Küstengesetzes, das u.a. vor Bebauung schützen soll, seine 8 mit Planen bedeckten Unterstände auf dem besonders naturgeschützten Weideland abreißen und errichtete daraufhin 2007 trotz mehrerer Baugenehmigungsverweigerungen einen 980 m² großen Schafstall aus Kastanienholz. Er stört niemanden und ist nur von einem Wanderweg aus partiell sichtbar, verstößt aber gegen den Flächennutzungsplan. Manche Nature klagte 2009 auf Abriss. 2011 erteilte der damalige Bürgermeister eine nachträgliche Baugenehmigung – mit Zustimmung der Departementskommission für Natur, Landschaften und Standorte und des Umweltministeriums. Doch die wurde 2012 vom zuständigen Verwaltungsgericht kassiert. 2017 gewann Manche Nature den Prozess, aber der Züchter reagierte nicht. 2021 erwirkten die Naturschützer dann ein Urteil, dass der Stall bis spätestens 19. April 2022 abgerissen werden müsse und Cerbonney für jeden Unterlassungstag 150 € Strafe zahlen müsse. Am 13. September 2022, als 18.000 € erreicht waren, entschied schließlich das vom Züchter bemühte Berufungsgericht: Der Stall müsse binnen 12 Monaten weg, danach werden pro Tag 50 € Strafe fällig.

Das ganze Verfahren fand Regionalpräsident Hervé Morin, ehedem Verteidigungsminister unter Präsident Sarkozy, „grotesk“; denn „wie willst du die Zucht auf Grasland aufrechterhalten, wenn du den Züchtern nicht erlaubst, Ställe für ihre Herden zu haben. Wir haben es hier nicht mit Produktionsstätten zu tun, mit scheußlichen Kapitalisten, sondern mit einem Mann, der bescheiden von seiner Arbeit lebt.“ Dem entgegnete Joël Bellenfant, Vorstandsmitglied des Kläger-Vereins: „Wenn der Hirte eine Baugenehmigung bekäme, wer garantiert dann, dass er nicht in 10 Jahren um einen Aufgabenwechsel bittet, zum Beispiel für ein touristisches Projekt? Mit seinen 14 Hektar gegenüber dem Mont-Saint-Michel hätte er den Jackpot.“

Kritik an der Justiz kam von beiden Seiten. Bürgermeisterin Catherine Brunaud-Rhyn: „Cerbonney trägt mit seiner Herde und seinem Know-how zum natürlichen Gleichgewicht der Bucht bei und ist Teil eines Erbes, das bewahrt werden muss.“ (Es wird immerhin seit dem 11. Jahrhundert gepflegt.) Benoist Busson, der Anwalt der Naturschützer: „14 Jahre bis zum Abriss, bei der Zwangsräumung von Mietern ist der Staat sehr viel schneller.“ Yves Grall, dem Präsidenten von Manche Nature, geht es mittlerweile weniger um die Umwelt als ums Prinzip: „Es ist eine Frage der Demokratie und der Meinungsfreiheit. Die Medien geben uns nicht das Wort und setzen sich für diesen armen Hirten ein. Wo ist die Ethik? Es ist ein Skandal, dass gewählte Beamte diesen Delinquenten unterstützen.“ Der wiederum will sich nicht bewegen: „Ich weiß, wie man Salzwiesenlamm macht, mit geschützter Ursprungsbezeichnung und Bio-Zertifizierung. Aber ich will nirgendwo anders Schafe machen.“

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