„Was ich aß, hatte weniger Biss, aber viel mehr Geschmack als eine typische Hähnchenbrust aus dem Supermarkt,“ notierte Kim Severson in der New York Times, nachdem sie als erste Journalistin das im Labor gezüchtete Fleisch von Upside Foods aus dessen im November begonnener Fabrikation im kalifornischen Emeryville gegessen hatte. Etwas matschig fand auch Dreisterneköchin Dominique Crenn aus San Francisco das Brustfleisch, dessen Geschmack sie ans altfranzösische Poulet Rouge erinnerte, und wollte nach der ersten Verkostung „auf keinen Fall“ etwas damit zu tun haben – unterschrieb dann aber einen Beratervertrag mit der Foods-Firma, weil „ich gegen Massentierhaltung bin“. Den größten Unterschied zwischen Natur- und Laborprodukt erkannte die Pulitzer Prize-Trägerin Severson in der Pfanne: „Beim Anbraten sah die Oberfläche eher wie grob zerkleinertes Fleisch als wie Muskelfleisch aus.“
Das 2015 von dem Kardiologen Dr. Uma Valeti gegründete Unternehmen, das auch Rindfleisch, Ente und Hummer aus Stammzellen züchten will, arbeitet – wie andere Gewebeingenieure und Wissenschaftler in mehreren Ländern – für einen prognostizierten 1,4-Billionen-$-Markt an alternativem Fleisch. Bislang fördern das Investoren mit knapp 3 Milliarden $, darunter Reiche wie Bill Gates und (Google-Mitbegründer) Sergey Brin, Promis wie Leonardo DiCaprio, Konzerne wie Archer-Daniels-Midland (USA, Nahrungsmittel) und JBS (Brasilien, Fleisch), Regierungsbehörden wie das US-Landwirtschaftsministerium und Qatar Investment Authority. Die New York Times: „Die Vermehrung von Zellen zu Fleisch bleibt der Wilde Westen der Lebensmittelproduktion“. Der Run weckte 2013 öffentliches Interesse, als in London der erste in-vitro-Hamburger serviert wurde; ab wann es künstliche Steaks in Läden gibt, ist Spekulation.
Denn Stammzellen aus Tiergewebe in einem Edelstahlbehälter (alias Bioreaktor oder Kultivator) mittels einer komplexen Brühe aus Nährstoffen (wie Kohlenhydrate und Aminosäuren) und Wachstumsfaktoren (Proteine zur Entwicklung von Muskeln, Fett oder Bindegewebe) zu wirtschaftlich rentablem Fleischersatz werden zu lassen, ist derzeit so problematisch wie die Kluft zwischen Befürwortern und Skeptikern. US-Multigastronom Danny Meyer: „Ich habe noch keine Beweise dafür gesehen habe, dass zellbasiertes Fleisch gesünder, besser für den Planeten oder nicht nichts für die Spitzengastronomie sei.“ In-vitro-Anhänger beschwören die Methode als einmalige Chance, das kaputte landwirtschaftliche System auf Erden zu reparieren, und als so revolutionär, wie der Übergang von der Jagd zur Landwirtschaft. Die Verbraucher scheinen skeptisch. In einer letzten Monat veröffentlichten Umfrage der britischen Food Standards Agency erklärte sich nur ein Drittel bereit, es zu probieren. In den USA ist es laut Mintel nur ein Zehntel.
Immerhin ist seit Dezember 2020 Zellfleisch (weltweit nur) in Singapur erlaubt und dort als Chicken Nugget für 15 € von Good Meat erhältlich (aus Kostengründen mit Pflanzenproteinen gestreckt). Bislang kauften nur ca. 700 Menschen. In den USA werden bis Ende 2022 die Zulassungsbedingungen erwartet. Wenn dann klar ist, was auf dem Etikett zu stehen hat, endet vermutlich die Begriffsverwirrung: Produzenten nennen das Fleisch kultiviert oder gezüchtet, Tierschützer schlachtfrei oder sauber, Gegner synthetisch, gefaked oder technologisch.
Foto: Upside Foods