Schockiert war Bayerns Ministerin für Landwirtschaft und Ernährung, als ihr gestern auf der Wiesn vegane Weißwürste zugemutet wurden. Die oberbayerische Gastwirtstochter Michaela Kaniber empörte sich: „Allein der Geruch und die Konsistenz des Produkts haben es mir unmöglich gemacht, das zu essen.“ Die ihr im Festzelt Tradition der „Oidn Wiesn“ auf Wunsch von Bild servierten Würste fand sie „rissig“ und „nur eine eigenartig zusammengepresste Masse“. Noch drastischer urteilte die Kabarettistin Monika Gruber: „Schaut aus wie gepresste Sägespäne.“ Die oberbayerische Landwirtstochter, vom Bayerischen Rundfunk zum Test ins Schottenhamel-Zelt gebeten: „Vegane Weißwürscht schmecken wie Montage-Schaum, der in ein Kondom abgefüllt wurde, mit einer leichten Kalk-Note im Abgang. Grausig.“
Dass es für die Damen um diese Wurst ging, verdanken sie dem Eifer des (städtischen Münchner Wirtschaftsreferenten und) Wiesn-Chefs Clemens Baumgärtner von der CSU, der mit Veganen am meisten fremdelnden Volkspartei. Doch er sieht’s im Trend: „Wir unterstützen die ganze Sache von städtischer Seite“ und „wollen mehr vegane Ernährung auf dem Oktoberfest haben und vergeben dafür auch Punkte.“ Wenn der Wiesn-Chef so etwas sagt, wird alles hellhörig, was auf dem Oktoberfest ein Festzelt betreiben will. Denn das städtische Prüfungsverfahren für einen Zeltplatz auf der Wiesn ist (selbst für akzeptierte und abgelehnte) Bewerber merkwürdig undurchsichtig. Da gilt es also mögliche Punkte zu machen. Folglich gibt’s vegane Weißwürste im Hofbräuzelt, vegane Currywurst mit scharfer Soße im Paulaner Festzelt, vegane gebackene Kartoffelwaffeln mit Schwammerlragout und Kräutern beim Schottenhamel, Seitangulasch und böhmischer Eintopf aus der veganen Küche im Armbrustschützenzelt und selbst in der Ochsenbraterei vegane Pflanzerl aus Erbsen-Labormaterial.
Auf die Idee, das Oktoberfest mit veganer Weißwurst zu beglücken kamen laut Bild Baumgärtner und der sich für weltbewegend haltende „Vegan-Guru Thomas Isermann“, dessen Start-up Greenforce das Würstchen aus Erbsenproteinen, Trinkwasser, Petersilie und Gewürzen ersann. Als Beleg bot Bild ein Foto aus dem Restaurant „Herrschaftszeiten“, auf dem sich die beiden Herren gemeinsam mit Isermanns PR-Frau die Erbswurst schmecken lassen – übrigens mit Brezn, die auf der Wiesn nicht dazu angeboten wird, weil sie nicht vegan sind. Baumgärtner erschien auch zur Präsentation des veganen Burgers von Greenforce im Bistro des Münchner Feinkostenhändlers Käfer, erkannte „keinen großen Unterschied zu einem Rindfleisch-Burger“ und empfahl auch dieses Erbsenprodukt aus dem Labor für die Wiesn.
Dass Veganer die nachgeäfften bayerischen Traditionsgerichte bestellen, erstaunt die Damen Kaniber und Gruber. Die Ministerin: „Ich verstehe nicht, warum jemand als Veganer etwas essen will, das aussieht wie eine Wurst.“ Die Kabarettistin: „Ich verstehe den Ansatz auch nicht. Du bestellst ja auch keinen fleischhaltigen Kohlrabi. Meine Meinung: Entweder ich bin Veganer oder ich esse eine Weißwurscht.“
Immerhin äußerten sich auch zwei Münchner Promis in den Medien angetan. Wiesn-Wirtin Arabella Pongratz („Winzerer Fähndl“): „Vom Geschmack her ist sie sehr gut, aber sie ist zu klein im Vergleich zu der richtigen Weißwurst.“ Kabarettist Michael Mittermeier: „Es ist gut, dass sich die Ernährung ändert“, das Vegane „ist ein Zugewinn“. Erfinder Isermann zog laut Focus sein ganz eigenes Fazit: „Beides hat seine Daseinsberechtigung, die vegane und die herkömmliche Weißwurst.“ Auch für ihn sei die Resonanz bisher 50:50. „Jeder, der sie probiert hat, ist überrascht, wie nah wir schon an den Geschmack rankommen.“
Hätte Baumgartner vor seinem Vegan-Engagement den Wiesnwirt Toni Roiderer vom Hackerzelt um Rat gefragt, hätte der zu bedenken gegeben: „Ich mische mich ja auch nicht ein, wenn die Vegetarier dem Vieh das Futter wegessen.“
Foto: MAN